Außerschulische Bildung 2/2024

Steffen Mau/Thomas Lux/Linus Westheuser: Triggerpunkte

Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft

Unterhalten sich zwei Soziologinnen. Fragt die eine: „Wie steht es um die Diagnose von der gespaltenen Gesellschaft?“ Antwortet die andere: „Eher Mau.“

Zugegeben, ein etwas flacher Witz zum Einstieg, der aber eine wichtige Erkenntnis des Buches kürzest möglich wiedergibt: Die Diagnose einer komplett gespaltenen Gesellschaft ist ein US-Import und für Deutschland unzutreffend, eine Polarisierung in zwei antagonistische Gruppen empirisch nicht nachweisbar. Überspitzt: Akademiker*innen sind nicht per se Veganer*innen und pro Einwanderung sowie Gendersternchen und bewegen sich leichtfüßig in einer urbanen multikulturellen Welt und Arbeiter*innen sind nicht per se Fleischesser*innen, wählen rechte Parteien, fühlen sich von einer Sprachpolizei gegängelt und lieben ihr deutsches Dorf mit althergebrachten Traditionen. Zwischen Einstellungen und sozialstruktureller Position lassen sich nur bedingt Zusammenhänge herstellen. Trotzdem ist das Buch keine Beruhigungspille.

Die Autoren untersuchen, wie soziale Ungleichheit wahrgenommen und wie über sie gestritten wird. Sie entwerfen dazu eine Typologie von vier Ungleichheitsarenen: die Oben-Unten-Ungleichheiten, bei denen es um Verteilungskonflikte geht; die Innen-Außen-Ungleichheiten, mit ihren Zugehörigkeits- und Grenzkonflikten; die Wir-Sie-Ungleichheiten, die Anerkennungskonflikte fokussieren, und die Heute-Morgen-Ungleichheiten, also ökologische und Zeitkonflikte. Um den Streit um Ungleichheiten zu untersuchen, verwenden sie sowohl quantitatives Datenmaterial aus sozialstatistischen Studien und bundesweiten Telefonsurveys als auch qualitative Daten aus Fokusgruppen. Es gab dabei drei Gruppen mit Angehörigen verschiedener Schichten, wobei insbesondere durch die sogenannten Krisis-Gruppen mit Vertreter*innen gegenläufiger Meinungen untersucht wurde, wie kritisiert und gestritten wird.

In den Krisis-Gruppen wurde auch identifiziert, was die Autoren mit dem Begriff der Triggerpunkte bezeichnen: „jene neuralgischen Stellen, an denen Meinungsverschiedenheiten hochschießen, an denen Konsens, Hinnahmebereitschaft und Indifferenz in deutlich artikulierten Dissens, ja sogar Gegnerschaft umschlagen. (…) jene Orte innerhalb der Tiefenstruktur von moralischen Erwartungen und sozialen Dispositionen, auf deren Berührung Menschen besonders heftig und emotional reagieren.“ (S. 246)