Außerschulische Bildung 3/2020

Thomas Hartmann/Jochen Dahm/Frank Decker (Hrsg.): Die Zukunft der Demokratie

Erkämpft. Verteidigt. Gefährdet?

1987 veröffentlichte Ralf Dahrendorf im „MERKUR“ den Aufsatz „Das Elend der Sozialdemokratie“. Die Frage lautete, ob die SPD die 40 %-Marke wieder erreichen oder sogar überschreiten könne. Heute stünde da eine andere Zahl. Gerade in einer Zeit, in der Bedrohung und Ende der freiheitlichen Demokratien Buchregale und Feuilletons füllen, ist die Frage berechtigt, was die in den vergangenen 100 Jahren so erfolgreiche Sozialdemokratie selbst zu ihrem „Elend“ beigetragen hat.

Kurt Beck, ehemaliger Vorsitzender der SPD, nennt im Vorwort drei Leitfragen: „Ist die Demokratie selbst in der Krise? Oder ist es eine Krise innerhalb des demokratischen Systems?“ Die dritte Frage klingt optimistisch: „Womöglich überzeichnet der Begriff der ‚Krise‘ die Lage?“ (S. 7) Die Herausgeber antworten mit einem Bekenntnis zu „einer starken, sozialen Demokratie, die allen Menschen Teilhabe und freie Entwicklung ermöglicht und den gesellschaftlichen Zusammenhalt garantiert“ (S. 18).

„Demokratie“ wird von den meisten Autor*innen des Sammelbandes als „soziale Demokratie“ definiert, die Akzeptanz der Demokratie hänge an Sozial- und Wirtschaftspolitik. Programmatisch für die Ausrichtung des Bandes ist der erste Satz des Beitrags „Politische Ungleichheit in Deutschland“: „Liberale Demokratien befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen dem Anspruch politischer Gleichheit und der Existenz ökonomischer Ungleichheit.“ (S. 151) Entwicklungen in den „ostdeutschen Bundesländern“ werden darauf reduziert, dass dort „eine ärmere Gesellschaft mit weniger Einfluss als in den westdeutschen besteht.“ „Teilhabechancen“ gibt es nur im Kontext von „Aufstiegshoffnungen“ (S. 201). Die Themen, die Gerhard Schröder als „Gedöns“ bezeichnete, fehlen, die politischen Entwicklungen werden im Spannungsfeld zwischen CDU/CSU und SPD erörtert. Grüne und Linke erscheinen als Konkurrenzparteien der SPD, die FDP gar nicht, erwähnt wird mehrfach die AfD.

Vielleicht fehlt der Sozialdemokratie eine Großerzählung, wie sie Willy Brandt 1969 formulierte: „Mehr Demokratie wagen“. Die meisten Beiträge verweilen jedoch im Klein-Klein von Wirtschafts- und Sozialpolitik und erwecken den Eindruck, als bringe ein „Bürgerlicher Kompromiss“ (Timo Lochocki, S. 218) die SPD zurück zu alter Stärke. Lochocki illustriert dies an der Migrationspolitik, die er als „Flüchtlingsdebatte“ versteht. Er hält eine Migrationspolitik für möglich, die CDU, CSU, SPD und – man staune – auch Politiker*innen der AfD – umfasse. Dies entspricht der Debatte in der SPD nach dem Wahlsieg der dänischen Sozialdemokratie.