Für ein besseres Morgen
Dietz-Verlag, 224 Seiten
In dieser Aufsatzsammlung werden politische Utopien mit einem realen Zusammenhang zu den aktuellen Problem- und Krisenlagen dargestellt. Sie hinterfragen die gesellschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf eine bessere Zukunft. Dieser Band ist entstanden aus einer Ringvorlesung 2019/2020 der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn.
Dementsprechend stammen die Autor*innen im weitesten Sinne aus dem „sozialdemokratischen“ Umfeld. So verstehen die Herausgeber Utopien als Gradmesser für emanzipatorische Veränderungen in der gegenwärtigen Zeit des Umbruchs. Daher böten die Utopien die Chance zur Veränderung und Neuorientierung. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans plädieren in ihrem Beitrag für ein Verständnis von Utopien als Aufforderung zum pragmatischen Handeln. Allerdings seien die gesellschaftlichen Veränderungen nicht mit einem revolutionären Umsturz, sondern durch stetige Reformen zu erzielen. Sie warnen vor einem weiteren Auseinanderfallen der Gesellschaft, ergreifen Partei für Gerechtigkeit, Wohlstand, Bildung und Teilhabe für alle. Eine gerechte Gesellschaft mit weniger Ungleichheit sei glücklicher, so das Fazit der SPD-Politiker.
Der österreichische Journalist Robert Misik stellt einen historischen Bezug zur Utopie des Humanisten Thomas Morus aus dem 15./16. Jahrhundert zur Zeit der Renaissance her. Dieser entwarf das Bild eines gerechten Sozialstaats basierend auf Vernunft und Gleichheit der Bürger*innen. Dies sei ein literarischer Entwurf, der einerseits eine utopische Utopie als Träumerei darstelle, aber andererseits auch einen subversiven Charakter beinhalte, so Misik. Letzteres sei stets ein Motiv der Arbeiterbewegung als Reformbewegung gewesen. Dabei setzt Misik nicht auf die utopische Utopie von Marx als radikalem Umsturz, sondern auf Transformation hin zu einem demokratischen Sozialismus. Schließlich hätte die Arbeiterschaft in der Geschichte mittels gemäßigter Radikalität konkrete Utopien verwirklicht und sich nicht in realitätsfernen Zielen verloren.
Der französische Historiker Pierre Rosanvallon beschreibt seine Utopie ebenfalls als eine fortschreitende Reform hin zu einer Gesellschaft der Gleichen. Diese basiere auf der Anerkennung der Einzigartigkeit der Individuen und der Gegenseitigkeit der Menschen untereinander im Sinne von gleicher Behandlung, Teilhabe sowie auf sozialer Gemeinschaftlichkeit. Das ist für ihn die Basis einer Gesellschaftspolitik. Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe erweitert die nationale durch eine internationale Gesellschaftsordnung. Er verweist auf die Notwendigkeit einer Weltrechtsordnung, die mit der Anerkennung der Menschenrechte als weltweit gültige Rechtsprinzipien verbunden sei. Diese Weltrechtsordnung müsse durch zwischenstaatliche Verträge und durch die Ergänzung der nationalen Bürgerrechte geschaffen werden. Diese würden nicht abgelöst, sondern durch das Weltrecht erweitert, sodass eine Weltrepublik auf rechtlicher Basis entstehe.
Für die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ist eine globale Gerechtigkeit nur in einer Welt ohne Ausbeutung vorstellbar. Ausgehend vom Nord-Süd-Bericht von Willy Brandt an die Weltbank vor 40 Jahren verweist sie auf die gegenwärtigen 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Mit den damit verbundenen Veränderungen und Konsequenzen z. B. in den Bereichen Bildung, Frauen und Gleichheit versteht Wieczorek-Zeul das Streben nach globaler Gerechtigkeit als aktive Friedenspolitik. Für Uwe Schneidewind, vormals Präsident des Wuppertal-Instituts, ist die Utopie einer globalen Gesellschaft nur möglich, in der ökonomische, ökologische, soziale und demokratische Entwicklungen zusammengedacht und gestaltet werden. Nachhaltigkeit basiere auf Demokratie. Und Brigitte Geißel ergänzt, dass Demokratie als kollektive Entscheidungsfindung die Gleichheit aller voraussetze. Die Demokratie müsse sich demokratisieren.
Die Frauenrechtlerin Teresa Bücker entwirft eine feministische Utopie im Sinne einer geschlechtergerechten Zukunft ohne Diskriminierungen. Ziel sei es, die Trennungen in der Gesellschaft wie zwischen Frau und Mann, Erwerbs- und Sorgearbeit sowie Alt und Jung zu überwinden. Notwendig sei, die fragmentierte Gesellschaft in einem ökologischen und sozialen Zusammenhang wieder zusammen zu führen.
Angesichts der Coronakrise als Dystopie ist es ein Verdienst dieses Bandes, auf Utopien und deren Inhalte aufmerksam zu machen. Leider sind die einzelnen Aufsätze relativ kurz, sodass eine vertiefte Diskussion nur teilweise vorhanden ist. Manche Beiträge wirken eher als politische Appelle und zur Selbstvergewisserung der eigenen Position. Beispielsweise wäre ein ausführlicheres Eingehen auf historische Vorbilder wie die Utopie von Thomas Morus wünschenswert. Ebenfalls fehlt ein aktueller Bezug zum Beispiel zur Utopie einer kommunikativen Gesellschaft von Jürgen Habermas, basierend auf Menschenwürde und Menschenrechten. Dennoch dienen die hier skizzierten Utopien der Diskussion über die drängenden gesellschaftlichen und emanzipatorischen Veränderungen.