Außerschulische Bildung 4/2020

Valentin Dander/Patrick Bettinger/Estella Ferraro/Christian Leineweber/Klaus Rummler (Hrsg.): Digitalisierung – Subjekt – Bildung

Kritische Betrachtungen der digitalen Transformation

Was kann aus einer Arbeitsgruppe bei einem Kongress von Erziehungswissenschaftlern nicht alles entstehen – ein Sammelband über den „diffusen (Diskurs-)Gegenstand Digitalisierung in seinen mannigfaltigen Verflechtungen“ zum Beispiel, gespickt mit „theoretischen, dezidiert kritischen Perspektiven (…), die bildungspolitisch kaum Gehör finden“ (S. 7). Zwölf Beiträge beschäftigen sich mit den Mechanismen digitaler Transformation, deren Tendenz zur Vereinnahmung kompletter wirtschaftlicher und technischer Prozesse, deren umwälzender Wirkung auf Gesellschaft, Medien und Institutionen aller Art – und dem Verhältnis des einzelnen Menschen dazu, der doch irgendwie darauf reagieren muss.

Die Bildung kommt ins Spiel, da jede/r auf die Digitalisierung des gesamten Lebens vorbereitet werden muss – und die Bildung selbst digitalisiert wird. „Sofern wir jedoch in Wissenschaft und Bildungspraxis weiterhin auf eine Gesellschaft hinarbeiten wollen, die sich Setzungen wie Gleichheit, Mitbestimmung und Solidarität verschreibt, bliebe weiterhin die Frage zu bearbeiten, auf welche Weise in diesen Widersprüchen Kritik, Subversion und Gestaltbarkeit der Umstände behauptbar bleiben können. (…) In welchem Verhältnis steht Transformation als Bildungsanforderung zu einem ‚Position-Beziehen‘ als Bildungsziel? In welchen Erfahrungsräumen können widerständige, subversive, kritische Praktiken erlebt und geübt werden?“ (S. 12) Die Autor*innen stellen mehr Fragen, als sie selbst beantworten können – und schaffen so den Raum für neue Ideen und weitere Diskussionen über Kapitalismuskritik, Handlungsmacht in digitalen Öffentlichkeiten, Gaming und Partizipation, ästhetische Medienkritik, Medienpädagogik und die Praxis wissenschaftlichen Publizierens. Im Folgenden weitere Beispiele:

Estella Ferraro untersucht, wie sich Subjekte in Anbetracht ewiger Speicherung digitaler Daten selbst positionieren (S. 57 ff.). Denn die eigene Meinung kann sich ja ändern – das Netz aber vergisst selbst die kleinste öffentliche Äußerung aus womöglich lange vergangenen Zeiten nicht. Kritik wird erschwert, weil die Bedingungen des Digitalen gleichsam das Recht auf Vergessen behindern und Momente ewiglich machen können. Menschen reagieren mit Selbstzensur, Anonymisierung und einem Gefühl, sowieso nicht mehr Herr*in über eigene Daten zu sein – und spätestens hier wird es dann „demokratiepolitisch bedenklich“.

Allesandro Barberi und Christian Swertz zeigen Größe (S. 77 ff.) – nämlich in Bezug auf die Denker, an denen sie sich in ihrem Beitrag orientieren: Über Horkheimer, Adorno, Weber, Bourdieu, Benjamin und viele weitere führt der Weg zur Erkenntnis, wie sich eine individuelle und auch kollektive Souveränität in digitalen Strukturen erhalten kann – durch Medienaktivismus, Widerstand, Subversion und politisches Handeln nämlich. Die Konsequenz ist ein „Medienkompetenzbegriff, der zentral auf einem Dualismus zwischen öffentlicher Kritik und privater Gestaltung von Medien, Macht, Herrschaft und Ideologie aufbaut“ (S. 14).