Ziele, Inhalte, Bilanzen
Ergon, 275 Seiten
Ossi-Erklärer, Polit-Analytiker, öffentlicher Intellektueller, PEGIDA-Versteher mit zu großer Nähe zu seinem Untersuchungsgegenstand – mit welchen, teils widersprüchlichen, Beschreibungen ist Werner J. Patzelt nicht schon versehen worden. Dabei sieht sich der langjährige Kopf der Politikwissenschaft an der TU Dresden vor allem als Streiter für einen angemessenen „politischen Bildungsstand“ (S. 11, vgl. ebenfalls die abschließenden Seiten 263 ff.). In diesem und zwei weiteren im gleichen Verlag veröffentlichten Büchern („Neue Deutsche in einem alten Land. Über Zuwanderung, Integration und Beheimatung“ sowie „Deutsche und ihr demokratisches Land. Herausforderungen und Antworten“) hat er „in differenzierter Weise meine grundsätzliche politische Position zu unserem Land, seiner Demokratie und zu den es prägenden Denkweisen dar(gestellt)“, wie er in seinem Blog schreibt.
„Mit politischer Bildung verhält es sich wie mit einem Organismus: Ist nicht alles Wesentliche dran, dann vegetiert er bestenfalls (…)“ (S. 42) – so hat sich Patzelt in einem nun wieder veröffentlichten Interview geäußert, nach diesem Motto hat er auch diesen Sammelband über das Wozu und Warum politischer Bildung (und nicht über deren Didaktik und Methodik) aufgebaut. Aufgeteilt sind die zwei Dutzend Aufsätze und Interviews in vier große Kapitel: über das Zusammenwirken von politischer Bildung und Politikwissenschaft (S. 17 ff.); über die Anforderungen der freiheitlichen Demokratie an den Bildungsstand ihrer Bürger*innen (S. 45 ff.); über die verschiedenartigsten Einzelaufgaben politischer Bildung (S. 127 ff.) – politische Bildung als Schulfach, politische Bildung für Jugendliche, Senioren und Politikverdrossene, politische Bildung in Zeiten von andauerndem Wahlkampf oder Globalisierung; den Abschluss bildet ein Kapitel über besondere Herausforderungen für politische Bildung im Zuge der deutschen Wiedervereinigung (S. 233 ff.).
Wie rote Fäden ziehen sich durch die Aufsätze dieses Bandes zwei Motive, die an dieser Stelle herausgestellt werden sollen. Das eine, bequemere, ist die politische Bildung in der Mediengesellschaft (z. B. S. 190 ff.). Letztere war durch die vielen Angebote bereits seit Jahrzehnten zerfasert, droht aber durch das Verlangen vieler nach alternativen Medien, Nachrichten oder gar Fakten nun zu zerbrechen. Eindringlich fordert Patzelt daher die Förderung kritischer Medienkompetenz der Bürger*innen, aber auch Journalist*innen als Adressaten politischer Bildung nicht zu vergessen. Man müsse versuchen, „durch öffentlichen Diskurs über die Aufgaben von Journalismus im demokratischen Verfassungsstaat die Funktion einer dienenden Freiheit der Massenmedien plausibel und attraktiv zu machen“ (S. 209, ähnlich eindringlich auf S. 249 ff.).
Das zweite Thema ist eindeutig unbequemer – und dreht sich um die Frage, wie sich politische Bildung und ein vernünftiger (Verfassungs-)Patriotismus miteinander vereinbaren lassen. Daran koppelt Patzelt wiederholt die Erinnerung daran, dass die pluralistische Demokratie zwei Dinge benötigt: Streit um den politischen Weg, durch den sich „am besten jenes gesellschaftliche Potenzial an Kreativität und Intelligenz ausnutzen (lässt), dessen wir bedürfen, um immer wieder unsere allzeit aufkommenden Probleme in den Griff zu bekommen“ (S. 97). Dazu kommt ein Minimalkonsens über gemeinsame Werte, gemeinsame Spielregeln und gemeinsame Institutionen für diesen Streit, damit eben dieser nicht ausartet (S. 102 ff.) – und letztlich der Bezug auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie auf gewaltfreie Kommunikation, deren Spielregeln sich im Laufe der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht ändern sollten.
Das galt bereits im Jahr 2000, aus dem der Aufsatz stammt, aus dem gerade zitiert wird. Und das gilt auch noch heute, in Zeiten vermehrt unübersichtlich verlaufender politischer und medialer Kommunikation. Und doch, merkt Patzelt an, „ist alleiniger Verfassungspatriotismus eher schwachbrüstig. Er ist zwar ethisch und intellektuell höchst attraktiv. Doch ihm fehlt die für Patriotismus immer auch so wichtige emotionale Dimension, vor allem die Empfindung einer Bindung an die ganz konkreten Leute im Land.“ (S. 114 f.) Am Nationalstaat kommt demnach nicht vorbei, wer einen vernünftigen Handlungs- und Vergleichsrahmen für eine pluralistische Demokratie und deren Reformdebatten suche (zumal die Europäische Union noch lange nicht wie eine funktioniere). Politischer Bildung könne daher natürlich die Aufgabe zukommen, „für diese Verbindung von demokratischem Wertebewusstsein und deutschem Patriotismus zu werben. Tut sie das nicht, so überlässt sie diese offene Flanke deutschen Selbstverständnisses den Rechtsradikalen. Diese werden bekanntlich nicht müde, deutschen Patriotismus gegen supranationale Integration und gegen Demokratie auszuspielen.“ (S. 116)
Tragende Wertgrundlagen einer pluralistischen Demokratie mit einem bewussten und kultivierten Patriotismus zu verbinden – diesem Ziel hat sich Patzelt offensichtlich verschrieben. Die Diskussion über ihn als Person sowie die Inhalte und Botschaft seiner Forschung zeigt, dass diese Aufgabe eine schwierige ist. „Gerade deshalb darf man derlei bei der politischen Bildungsarbeit nicht meiden – sondern soll zeigen, wie vernünftige und freiheitlich gesinnte Leute derlei debattieren“ (S. 117), antwortet Patzelt selbst. Da kann man ihm wohl kaum widersprechen.