Außerschulische Bildung 4/2021

Schwarz-Weiß-Denken

Kritische Anmerkungen zum AdB-Jahresthema 2021

Der AdB entscheidet sich in jedem Jahr für ein Jahresthema, um aktuelle gesellschaftliche Themen in den Fokus zu rücken, zu diskutieren und Ideen für die Praxis politischer Bildung zu entwickeln. Das Jahresthema 2021 lautet „Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung“. In einem heterogenen Verband wie dem AdB werden immer wieder unterschiedliche, teilweise kontroverse Positionen sichtbar, die auch die gesellschaftlichen Debatten widerspiegeln. Ganz im Sinne des Kontroversitätsgebotes ist es wichtig und notwendig, die unterschiedlichen Debattenbeiträge abzubilden um – gerne auch in dieser Zeitschrift – eine Diskussion anzustoßen. In diesem Sinne wird in der nächsten Ausgabe ein weiterer Beitrag, der sich kritisch mit der hier vorgetragenen Position auseinandersetzt, erscheinen.
 von Christian Hesse

Jeder ist gegen Rassismus. Kaum etwas fällt dem liberalen, akademisch gebildeten, sich selbst in der politischen Mitte – oder im Zweifel links davon – verortenden Mitteleuropäer leichter, als jede Form von Rassismus weit von sich zu weisen. Gleichzeitig vertreten gerade aus diesem Personenkreis sehr viele die Meinung, dass Rassismus ein großes gesellschaftliches Problem sei – das im Regelfall aber andere betrifft. Auch ohne konkreten empirischen Beleg ist es nicht vermessen zu behaupten, dass die in der politischen, sozialen, historischen und kulturellen Bildung Tätigen eine hohe Schnittmenge mit eben diesem Personenkreis aufweisen dürften. Von daher ist es grundsätzlich ein lobenswerter Ansatz des AdB, mit dem Jahresthema 2021 und dem Projekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“ etablierte Denk- und Verhaltensweisen, vermeintliche Wahrheiten und politische Glaubenssätze in Frage zu stellen.

Was ist also das Problem? Der vom AdB verfolgte Ansatz stützt sich im Wesentlichen auf die Theorien der postkolonialistischen Rassismuskritik und der sogenannten Critical Whiteness. Obwohl ich im Folgenden meine Probleme mit und Kritik an diesem Ansatz, den zugrundeliegenden Annahmen und Schlussfolgerungen darstellen und argumentativ begründen möchte, will ich gleich zu Beginn etwas grundsätzlich anmerken: Ja, es gibt strukturellen oder systemischen Rassismus. Es gibt unbewusste Vorurteile und es gibt das, was der französische Historiker Fernand Braudel als lange Wirkungszeit (longue durée) der Geschichte bezeichnete. Einige Vorstellungen über die Welt sind – subtil und dennoch tief – in uns verankert, selbst, wenn wir sie bei bewusster Betrachtung ablehnen.

Die vom AdB in den Fokus gestellte Form der Rassismuskritik läuft aber aus meiner Sicht Gefahr, dem guten Ansinnen einen Lichasdienst zu erweisen. Mögen auch in der rassismuskritischen Theorie heterogene Ansätze bestehen, so kann die grundlegende Prämisse nicht losgelöst von gesellschaftlichen Diskussionen (man könnte auch sagen, einem Kulturkampf) betrachtet werden, die insbesondere in Europa und Nordamerika derzeit mit äußerster, polarisierter Schärfe geführt werden. Stichwörter wie „Identitätspolitik“, „Cancel Culture“, „kulturelle Aneignung“ und „Wokeness“ sind zu ideologischen Kampfbegriffen geworden, die auf Kopfdruck bestimmte Mechanismen auslösen.