Didaktische Empfehlungen für (außerschulische) Bildungseinrichtungen
Die Verbindung von Inklusion, Behinderung und politischer Bildung weist eine kurze Geschichte auf, da es lange Zeit als undenkbar galt, dass Menschen mit Behinderung politisch partizipieren könnten. Mündigkeit und (politisches) Verständnis wurden ihnen abgesprochen sowie leichte Beeinflussbarkeit unterstellt. Dieses Menschenbild reproduziert noch immer anhaltende Ausgrenzungsmechanismen gegenüber Menschen mit Behinderung.
Durch gesellschaftliche Veränderungen und die Zunahme von schulischer Inklusion haben sich Bildungs-/Lehrpläne von (Förder-)Schulen wie auch Curricula von außerschulischen Bildungseinrichtungen geöffnet und u. a. politische Bildung als Inhalt ergänzt (vgl. Klamp-Gretschel 2016).
Inklusive politische Bildung
Das Wissen über politische Grundbegriffe und Beziehungen bildet das Fundament individueller politischer Meinungsbildung und befähigt zur Teilhabe an politischen Prozessen. Wolfgang Sander bezeichnet politische Bildung als „alle Formen absichtsvoller pädagogischer Einwirkung auf Prozesse der politischen Sozialisation“ (Sander 2022a, S. 9). Ziel muss sein, eigenständige Entscheidungen in politischen Prozessen in ihrer Entwicklung zu unterstützen, „hier schließt politische Bildung ausdrücklich die Möglichkeit ein, dass die Lernenden in der Beurteilung politischer Streitfragen zu anderen Ergebnissen kommen als die Lehrenden und dass dies ein wünschenswertes Ergebnis von Lernprozessen sein kann. Dieses Denkmuster lässt sich abkürzend mit dem Stichwort der politischen Mündigkeit kennzeichnen.“ (Sander 2022b, S. 25; H. i. O.)
Das Wissen über politische Grundbegriffe und Beziehungen bildet das Fundament individueller politischer Meinungsbildung und befähigt zur Teilhabe an politischen Prozessen.
Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten und Herausforderungen, politische Inhalte zu vermitteln, um Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Wissensständen zu adressieren. Inklusive politische Bildung hat für alle marginalisierten Personengruppen besondere Bedeutung, denn dadurch erhalten sie einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Mitsprache in politischen Entscheidungen und können teilhaben: „Inklusive politische Bildung ist keine spezielle Form der politischen Bildung, der Zusatz ‚inklusiv‘ betont vielmehr, dass politische Bildung sich in die Pflicht nimmt, ihre Angebote so zu gestalten, dass sie für alle zugänglich und nutzbar wird.“ (Bertelmann/Düber/Rohrmann 2020, S. 66; H. i. O.) Daraus ergibt sich eine große Vielfalt dessen, was inklusive politische Bildung sein kann, da die Zielgruppe so heterogen ist.
Didaktik inklusiver politischer Bildung
Didaktische Grundlagen stellen insbesondere für inklusive Bildungsprozesse wesentliche Gelingensbedingungen dar: „Die Aufgabe von Didaktik besteht darin festzustellen, wie Lehr–/Lernsituationen beschaffen sind, bestimmte Einsichten mithilfe zweckdienlicher Begriffe und Konzepte zu gewinnen und diese umsetzen zu helfen – mit anderen Worten: die Praxis des Lehrens und Lernens aufzuklären und zu fördern.“ (Lehner 2019, S. 12)
Didaktik meint die inhaltliche Aufbereitung, die zur bestmöglichen Erinnerungsleistung, Wissenserweiterung und Handlungsfähigkeit im Rahmen des Themengebiets beiträgt. Die Gestaltung der Aufbereitung lässt sich durch Kriterien inklusiver Didaktik beantworten:
- Einbezug von Interessen und Bedürfnissen der Lernenden
- Offenheit in der Gestaltung von Lernprozessen
- Möglichkeiten der realen Erfahrung außerhalb der Schule
- Fächerübergreifender Unterricht (offener Unterricht)
- Eigenes Erarbeiten von Lerninhalten (Forschen)
- Interaktionsaspekt prioritär (Handlungsfähigkeit)
- Dialoge fördern
- Sinnzusammenhang beim Lernen verdeutlichen
- Lernprozess wichtiger als Lernprodukt („das Lernen lernen“)
- Interesse und Identifikation als Motivation
- Lernen als aktive Mitgestaltung durch die Lernenden (vgl. Krawitz 1997 zit. n. Feyerer 2012).
Wesentlich sind Wahrnehmung und Einbezug der Bedarfe, Lebensbedingungen und Erfahrungen der jeweiligen Zielgruppe. Am verlässlichsten sind hierbei partizipative Ansätze, die die aktive Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Personen gewährleisten und zur Begegnung „auf Augenhöhe“ beitragen. „Inklusive politische Bildung ist vor allem politische Bildung – sie erfordert keine Spezialdidaktik.“ (Hilpert/Meyer/Lindmeier 2020, S. 9) Dennoch braucht es Sensibilität für individuelle Bedarfe/Risiken; Interessen und Erfahrungen müssen berücksichtigt und entsprechende Materialien entwickelt/bereitgehalten werden (vgl. Jugel/Hölzel/Besand 2020). Dabei entsteht ein Adressierungsdilemma (vgl. Meyer/Lindmeier 2020), indem Gruppen Unterschiede zugeschrieben werden, um sie adäquat ansprechen zu wollen, gleichzeitig wirkt diese Zuschreibung differenzherstellend. Dass das auch notwendig ist, formulieren Ratz/Stegkemper/Ullrich (2020, S. 145) so: „Es geht vielmehr um die Suche nach Möglichkeiten der aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst und der uns Menschen umgebenden (politischen) Welt“ und ist damit ein höchst individueller Zugang. Von besonderem Interesse sind hier Zugänge und Kompetenzen, die das Individuum erhalten muss, um politisch partizipieren zu können.
Umsetzung inklusiver politischer Bildung
Herausforderungen in der Umsetzung werden durch ein kombiniertes Modell aus der Politikkompetenz (vgl. Detjen/Massing/Richter/Weißeno 2012), dem 4A-Schema und den didaktischen Handlungsebenen der Erwachsenenbildung (vgl. Tietgens 1992) deutlich.
Das 4A-Schema wird von der UN benutzt und versteht Bildung als Menschenrecht. Mit Hilfe der 4A (im Englischen) steht ein Instrument zur Überprüfung von Bildungssystemen hinsichtlich ihrer inklusiven Ausrichtung bereit. Gemeint sind hier die Aspekte Verfügbarkeit (Vorhandensein von Angeboten), Zugänglichkeit (auf baulicher, physischer, finanzieller, inhaltlicher … Ebene), Akzeptierbarkeit (Passung hinsichtlich der Bedürfnisse von Lernenden und ihren Lebenslagen) und Anpassungsfähigkeit/Adaptierbarkeit (Differenzierung und Flexibilisierung von Inhalten) (vgl. Lauber-Pohle 2019; Lindmeier 2020).
Das Konzept der didaktischen Handlungsebenen in der Erwachsenenbildung (vgl. Tietgens 1992) beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Ebene (Schaffen von rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen), Ebene der Organisation (Umdenken bei Träger*innen und Bildungseinrichtungen), Ebene des professionellen Handelns (Qualifikation von Fachkräften zur Gestaltung und Adaption von Lehr-Lernsituationen) sowie Ebene der Teilnehmenden (Berücksichtigung von Lernwünschen und Fähigkeiten).
Die Verschränkung der beiden Konzepte bildet ein Analyseraster zur Umsetzung inklusiver Erwachsenen- und Jugendbildung (vgl. Lauber-Pohle 2019). Es wird deutlich, dass es noch an gesellschaftlichen Grundlagen für inklusive Angebote fehlt. Dementgegen wirken kann die Schnittmenge von gesellschaftlicher Ebene und Akzeptierbarkeit: die Forderung nach allgemeinen Angeboten auf verschiedenen Lernniveaus, indem Angebote in einem Curriculum zu differenzieren sind, damit Kurse einem bestimmten Niveau zugewiesen werden und sich nicht ausschließlich an Menschen mit Behinderung richten.
Die in der Dimension politische Einstellung und Motivation befindlichen Unterkategorien Interesse, Selbstbewusstsein, Systemvertrauen und Bürgertugend verdeutlichen, dass es intrinsische Motive gibt, die das Individuum in politische Prozesse einbringt.
Zur Konkretisierung hinsichtlich politischer Bildung lassen sich die Kompetenzdimensionen des Politikkompetenzmodells nach Detjen et al. (2012) ergänzen. Die vier Kompetenzdimensionen, politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit, Fachwissen sowie politische Einstellung und Motivation, sind das Kernstück des Modells. Sie werden in weitere Unterkategorien ausdifferenziert, die die inhaltliche Ausrichtung verdeutlichen und konkrete Anhaltspunkte zur Gestaltung inklusiver politischer Bildung bieten. Auch wenn sich keine trennscharfe Differenzierung vornehmen lässt, sind im Bereich der didaktischen Handlungsfelder originäre Ausgangspunkte für die Dimensionen der Politikkompetenz auszumachen.
Beispiel: Das Individuum muss mit den eigenen politischen Einstellungen und Motivationen in den politischen Prozess eintreten, wird auf der Handlungsebene mit Fachwissen versorgt, um dann im organisatorischen Bereich politisch handlungsfähig zu sein und gesamtgesellschaftlich politisch zu urteilen.
Die in der Dimension politische Einstellung und Motivation befindlichen Unterkategorien Interesse, Selbstbewusstsein, Systemvertrauen und Bürgertugend verdeutlichen, dass es intrinsische Motive gibt, die das Individuum in politische Prozesse einbringt. Daraus wird umso deutlicher, dass es institutionalisierte inklusive politische Bildungsprozesse braucht, um aus diesen zum Teil ungerichteten Motiven gerichtete politische Handlungen zu machen.
Je nach Behinderung ist eine Differenzierung der Herangehensweise vorzunehmen; bei körperlichen Behinderungen oder Sinnesbehinderungen sind diese Differenzierungen eher auf der methodischen Ebene anzusiedeln. Bei geistigen Behinderungen tragen didaktisch-methodische Prinzipien zur Differenzierung des Lerngegenstandes bei:
Elementarisierung: Komplexität eines Lerngegenstandes wird reduziert und den Lernniveaus der Lernenden angepasst (vgl. Heinen 1989); Beispiel: Wahl von Klassensprecher*innen zum Erkennen der Charakteristika von Wahlen.
Anschaulichkeit: Konkretes Bild des Lerngegenstandes wird vermittelt (vgl. Stöppler/Wachsmuth 2010); Beispiel: Bildmaterial einer Wahl im Wahllokal, ergänzende Gegenstände wie Wahlurne, Wahlzettel etc.
Strukturierung: Planvolle Durchführung von Lehr-Lernprozessen und Lerninhalten (vgl. Fischer 2008); Beispiel: Informationen über örtliches politisches System vor globalen politischen Konflikten thematisieren.
Lebensnähe: Bedeutung des Lerninhaltes für das eigene Leben wird hervorgehoben (vgl. Terfloth/Bauersfeld 2012); Beispiel: Besuche im Rathaus, Gespräche mit Lokalpolitiker*innen, Teilnahme an öffentlichen Gremiensitzungen.
Individualisierung: Lernende werden in eigener Individualität fokussiert, individuelle Lernpläne erstellt (vgl. Stöppler/Wachsmuth 2010); Beispiel: politische Prozesse/Entscheidungen im Alltag aufzeigen.
Adaptives Lernen: Fehlendes Vorwissen durch kompensatorische Strategien ergänzen und fehlende Lernvoraussetzungen überwinden (vgl. ebd.); Beispiel: individuellen Lernstand vor Beginn von Lerneinheiten erheben.
Darüber hinaus sollten sich Lehrende nach der eigenen Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung (Frage nach Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit), den Bildungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung (Frage nach formaler/non-formaler Bildung) sowie dem eigenen Interesse an inklusiver Bildung fragen. Zusätzlich bieten folgende Leitlinien für erfolgreiche inklusive Lernprozesse Orientierung (vgl. Dönges/Hilpert/Zurstrassen 2015):
Interdisziplinarität: Durch die Verschränkung verschiedener Disziplinen und ihrer Expertisen können bestmögliche Lernszenarien geschaffen werden; z. B. Zusammenarbeit von Fachkräften aus Pädagogik und Politik.
Multiperspektivität: Zusammenarbeit mit verschiedenen (kontroversen) wissenschaftlichen Einstellungen zu Inklusion; z. B. gemeinsamer Unterricht vs. Erhalt von Förderschulen.
Fokus auf generelle Fragen der Inklusion: Grundlagen der Teilnahme an politischen Prozessen müssen geschaffen werden, um darauf aufbauend spezifischen Fragen nachzugehen.
Bandbreite politischer Bildung: Um möglichst viele Menschen mit politischer Bildung zu erreichen, bedarf es einer Öffnung des Blickes für politische Sachverhalte und deren Durchdringen des Alltags.
Verbindung von Theorie und Praxis: Jegliche theoretischen Überlegungen brauchen einen direkten Bezug zur Praxis.
Verständlichkeit: Nachvollziehbarkeit von politischen Prozessen als Ausgangspunkt eines erfolgreichen inklusiven Lernprozesses; Fachsprache kann nicht vollkommen vermieden werden, aber durch eine Auswahl spezifischer Fachbegriffe für bestimmte Lernsequenzen kann die Nachvollziehbarkeit erhöht werden.
Barrieren in der Umsetzung
Die Umsetzung kann durch vielfältige Barrieren erschwert werden, diese können im individuellen, organisatorischen und technischen Bereich auftreten. Je nach individuellen Voraussetzungen wiegen einzelne Barrieren schwerer bei der Zugänglichkeit und Teilhabe an politischen Prozessen. Bezogen auf das Politikkompetenzmodell von Detjen et al. (2012) lassen sich einzelne individuelle Faktoren konkretisieren:
- Politische Einstellung und Motivation: fehlende Unabhängigkeit im Alltag (eigene Erfahrungen können nicht gemacht, Kontakte zur Auseinandersetzung genutzt und Informationen beschafft werden); Abhängigkeit von Eltern/Pflegepersonal (ggf. werden Einstellungen übernommen, eigene Erfahrungen fehlen); fehlendes Selbstvertrauen; gesellschaftliches Bild (Menschen mit Behinderung wird keine politische Einstellung/Haltung zugetraut).
- Fachwissen: Curriculum einer Förderschule (Inhalte zur politischen Bildung können fehlen); fehlende Kulturtechniken (nicht alle Menschen mit Behinderung lernen lesen und schreiben und sind damit von Informationen ausgeschlossen).
- Politische Handlungsfähigkeit: fehlender Schulabschluss (nicht alle Förderschulen bieten Schulabschlüsse an; fehlender Schulabschluss kann dazu führen, in politischen Prozessen nicht ernst genommen zu werden); fehlende lautsprachliche Kompetenzen; zeitliche Gebundenheit (durch einen höheren Zeitaufwand hinsichtlich Pflege, Therapie, Mobilität etc.); eingeschränkte finanzielle Mittel (wenig Lohn bzw. Arbeitstätigkeit nicht möglich); fehlende Mobilität (Fahrdienste, Begleitpersonen notwendig); fehlendes Selbstvertrauen.
- Politische Urteilsfähigkeit: Curriculum einer Förderschule (Inhalte zur politischen Urteilsbildung können fehlen); fehlendes Selbstvertrauen; gesellschaftliches Bild (Menschen mit Behinderung wird keine politische Urteilsfähigkeit zugetraut).
Im organisatorischen und technischen Bereich lassen sich Barrieren bei den Bildungseinrichtungen ausmachen:
- Fehlendes Wissen über Behinderung: Unterschiede von Behinderung/Kultur/Persönlichkeit wahrnehmen; Umgang mit akut auftretenden Symptomen einer chronischen Erkrankung (z. B. Krampfanfälle); kein Wissen über Lebensbedingungen und damit über Vorwissen/Erfahrungen.
- Berührungsängste: fehlende Erfahrungen mit der Personengruppe schaffen Distanz; eigenes Vorgehen erscheint unpassend, daraus resultiert Unsicherheit; Angst vor „unangemessenem Verhalten“ (verbunden mit fehlendem Wissen über Behinderung).
- Bauliche Barrieren: Zugänglichkeit der Gebäude/Räume/Sanitäreinrichtungen nicht gegeben; Akustik/Beleuchtung nicht ausreichend; fehlende Pflegeeinrichtungen.
- Angebote für Zielgruppen statt Angebote auf verschiedenen Niveaus: Festhalten an spezifischen Gruppenstrukturen anstatt alle Teilnehmenden nach Leistungsniveaus aufzuteilen.
- Textbasierte Angebote: Anmeldung und Durchführung der meisten Angebote ist textbasiert, Ausschluss von Teilnehmenden, die nicht lesen und schreiben können.
- Konservative Vorstellung von Bildung: Vorstellung klarer Lernprodukte muss überwunden werden, um Raum für individuelle Aneignung von Lernprozessen zu lassen.
- Fehlende technische Hilfsmittel: Geräte mit Sprachausgabe, zusätzliche Bildschirme etc. fehlen.
- Fehlende Kompetenz im Umgang mit nonverbalen Teilnehmenden oder Teilnehmenden, die leichte/einfache Sprache oder Deutsche Gebärdensprache (DGS) bevorzugen.
- Fehlende Kooperationen mit Beratungsstellen: externe Expertisen erleichtern die Ausrichtung und Durchführung von Angeboten.
Konzepte zur Umsetzung
Aus dieser exemplarischen Darstellung von Barrieren lässt sich ableiten, dass es vor allen Dingen Kommunikation braucht, um gemeinsame Wege in der inklusiven politischen Bildungsarbeit zu beschreiten. Es braucht einen aktiven Einbezug der Zielgruppe, um auf ihre Bedürfnisse einzugehen und diese in die Gestaltung aufzunehmen. Je nach Größe der Bildungsorganisation bietet es sich an, eine Art Beirat/Expert*innen-Gruppe einzuberufen:
„In der partizipativen Forschung stehen die Menschen, die an ihr teilhaben, im Mittelpunkt – ihre Perspektiven, ihre Lernprozesse und ihre individuelle und kollektive (Selbst–) Befähigung. Partizipative Forschung ist damit nie ein rein akademisches Unterfangen, sondern immer ein Gemeinschaftsprojekt mit nicht-wissenschaftlichen, gesellschaftlichen Akteuren.“ (von Unger 2014, S. 2)
Durch die biografischen Perspektiven und Zugänge lassen sich bestehende und zukünftigen Barrieren in der Teilhabe frühzeitig erkennen und Strategien dagegen entwickeln. Diese Art der partizipativen Forschung stellt wiederum selbst eine Form politischer Teilhabe dar, indem eigene Interessen und Belange eingebracht werden und sich für diese eingesetzt wird. Durch diese Reflexion, differenzierte Informationen und Persönlichkeitsbildung lassen sich Aspekte wie fehlendes Selbstvertrauen oder Abhängigkeitsgefühle überwinden und so besteht die Möglichkeit, dem Ziel politischer Bildung, dem Herausbilden mündiger Bürger*innen (vgl. Reinhardt 2020), näher zu kommen.
Durch die biografischen Perspektiven und Zugänge lassen sich bestehende und zukünftigen Barrieren in der Teilhabe frühzeitig erkennen und Strategien dagegen entwickeln.
Inhaltlich sind Visualisierungen und andere Aufbereitungen von Lernmaterialien gefragt, indem mit Bildern passend zum Inhalt gearbeitet wird, Angebote mit weniger oder kaum Schriftsprache auskommen und Filme, Spiele oder Gegenstände Verwendung finden. An den Stellen, an denen nicht auf Schriftsprache verzichtet werden kann, sollte auf einfache bzw. leichte Sprache zurückgegriffen werden. Trotz einer möglichen Elementarisierung darf der fachliche Charakter des Lerngegenstandes nicht aus dem Blick geraten, da zur politischen Bildung komplexe Zusammenhänge gehören, die nicht weg reduziert werden können und dürfen.
Langfristig gesehen wäre es der zunächst aufwendigere, aber letztendlich einfachere Weg, die komplette Organisation inklusiv zu gestalten, denn dadurch bedarf es zukünftig keiner spezifisch inklusiven Angebote mehr, da alle Angebote und Inhalte inklusiv werden. Ein erster Schritt auf diesem Weg kann die Entwicklung eines inklusiven Leitbildes der Einrichtung und die damit verknüpfte Initiierung eines Prozesses der Umgestaltung sein. Neben baulichen, technischen und organisatorischen Bedingungen gilt es, Einstellungen, Gewohnheiten und Denkweisen, die sich über viele Jahre kultiviert haben, zu hinterfragen und inklusiv auszurichten. Zum erfolgreichen Gelingen trägt die Motivation der Mitarbeitenden bei, denn nur so lassen sich Denkmuster verändern.
Ausblick mit Handlungsempfehlungen
Abschließend lässt sich festhalten, dass es nicht die „inklusive politische Bildung“ gibt, sondern stets individuelle Voraussetzungen/Interessen in den Blick zu nehmen sind. Die Zielgruppe von Inklusion ist äußerst heterogen, demnach müssen es auch die Angebote sein.
Nichtsdestotrotz lassen sich einzelne Handlungsempfehlungen ableiten, die zur Verbreitung inklusiver politischer Bildung beitragen können:
- Politische Teilhabe als Teil von Lehrplänen und Curricula stärken;
- Vermittlung durch passende, inklusive Unterrichtsformen;
- Angebote im Rahmen allgemeiner Jugend-/Erwachsenenbildung platzieren;
- Zunahme von Partizipation der Lernenden in Lehr-Lernprozessen;
- Zunahme von Barrierefreiheit in der politischen Teilhabe (vgl. Klamp-Gretschel 2016).
Zusätzlich können weitere allgemeinere Hinweise dazu beitragen, inklusive politische Bildung selbstverständlicher zu machen:
- Intersektionaler Ansatz (weitere Strukturkategorien einbeziehen);
- Auseinandersetzung mit eigenem Menschenbild (Verständnis von Behinderung);
- Beteiligung von Expert*innen in eigener Sache;
- Transparenz in politischen Prozessen (Nachvollziehbarkeit);
- Einbezug inklusiver politischer Bildung in Leitbilder von Institutionen;
- Einflussnahme auf gesellschaftliche Vorstellungen von Menschen mit Behinderung.
Letztendlich ist die Politik gefragt, die sich stärker einbringen muss, um alle Menschen in einer Demokratie zu erreichen. Teilhabe als Menschenrecht braucht ein Bewusstsein dafür, überhaupt teilhaben zu dürfen. Durch eine stärkere Präsenz wie auch finanzielle Unterstützung inklusiver politischer Bildungsangebote kann Politik einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion leisten. Ein stärkeres Miteinander kann auch gesamtgesellschaftlich Ängste abbauen und die Entfaltung gesellschaftlicher Vielfalt fördern.
Zur Autorin
karoline.klamp-gretschel@erziehung.uni-giessen.de