Außerschulische Bildung 3/2020

Verantwortung übernehmen für die Klimakrise

Warum der Klimawandel uns vor große Herausforderungen stellt und wie wir unsere Verantwortung verstehen können

Die Klimakrise ist so komplex und vielschichtig, dass sie uns vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Dazu gehört auch die Frage, welche Akteur*innen Verantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels tragen. In diesem Beitrag möchte ich einen Einblick in die Debatte geben und darlegen, warum wir den Klimawandel als strukturelle Ungerechtigkeit verstehen sollten. In Bezug auf die Arbeiten von Iris M. Young können wir einen Weg zeigen, wie wir gemeinsam Verantwortung übernehmen können.  von Lukas Sparenborg
„Es wird immer leichter sein, in den Leiden anderer Menschen eher ein Unglück als eine Ungerechtigkeit zu sehen.“ Judith N. Shklar (1992, S. 31)

Die Klimakrise besteht schon lange. Spätestens seit dem ersten Bericht des Weltklimarats (IPCC) 1990 ist wissenschaftlich erwiesen, dass der menschliche Einfluss die treibende Kraft des Klimawandels ist (vgl. IPCC 1992). Zu den möglichen katastrophalen Folgen gehören steigende Temperaturen, mehr Extremwetterereignisse und ein steigender Meeresspiegel. Um diese Auswirkungen zu verhindern oder wenigstens abzuschwächen, muss die Emission von Treibhausgasen deutlich reduziert werden. Hierbei spielen Fragen der Verantwortung und Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Wer sollte der Klimakrise auf welche Weise begegnen? Wie kann eine gerechte Antwort aussehen? Meist wird von einem Zusammenspiel mehrerer Antwortmöglichkeiten gesprochen. Hierzu zählen „Mitigation“, also das Reduzieren von Treibhausgasemissionen und „Adaptation“, also mögliche Anpassungsmaßnahmen an veränderte Klimabedingungen. Ich fokussiere mich im Folgenden vor allem auf die Verantwortung zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. In diesem Beitrag möchte ich einen Einblick in die Debatte geben, die sich vor allem in der normativen politischen Philosophie entfaltet hat.

Die Klimakrise ist komplex und vielschichtig. Das stellt auch herkömmliche Konzepte von Verantwortung vor Schwierigkeiten. Ist der Einzelne verantwortlich, seine Emissionen zu reduzieren oder müssen nur Staaten dies tun? Zunächst werde ich die Probleme der Verantwortungszuschreibung darlegen. Einige Autor*innen argumentieren, dass unser Verständnis von Verantwortung dem Klimawandel nicht gewachsen sei (vgl. Jamieson 2014).

Die Klimakrise ist auch eine strukturelle Krise. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist tief verwoben in unserem Alltag und in die Art und Weise, wie wir wirtschaften. Wir benötigen also auch strukturelle Antworten auf die Klimakrise. Wenn wir dies als Ziel annehmen, verändert sich unser Blick auf Verantwortung. Es muss zwischen verschiedenen Formen der Verantwortung als Antwort auf das Beitragen zum Klimawandel differenziert werden.

Individuelle oder kollektive Verantwortung?

Nähern wir uns zuerst dem Begriff der Verantwortung auf individueller Ebene. Hierzu zwei Beispiele:

  1. Lisa stolpert und tritt dabei auf Pauls Spielzeug.
  2. Da Markus vergessen hat, seine Auffahrt vom Schnee zu befreien, stürzt Marie und bricht sich ein Bein.

Das erste Beispiel beschreibt kausale, aber nicht notwendigerweise moralische Verantwortung. Wir können annehmen, dass Lisa nicht absichtlich gestolpert und Pauls Spielzeug zerstört hat. Im Gegensatz dazu ist Markus im zweiten Beispiel nur indirekt kausal, aber wohl moralisch verantwortlich. Zwar ist Marie durch die Glätte und den Schnee auf der Auffahrt zu Fall gekommen, jedoch war es Markus Aufgabe, diese von Schnee zu befreien. Diese Beispiele orientieren sich an der Diskussion von Jamieson (2015). Kausale Verantwortung im ersten Beispiel konzentriert sich darauf, worin die Handlung einer Person (in-)direkt resultiert. Moralische Verantwortung, wie im zweiten Beispiel, enthält ein Werturteil. In der Regel wird angenommen, dass kausale Verantwortung eine notwendige, aber nicht hinreiche Bedingung für moralische Verantwortung ist (vgl. Jamieson 2015).

Climate Justice Now – Die Frage nach Gerechtigkeit sollte immer mitgedacht werden, wenn es um die Bekämpfung der Klimakrise geht. Foto: niekverlaan/pixabay.de

Der Klimawandel ist natürlich komplexer als diese Beispiele. Ist es unsere moralische Pflicht, unsere individuellen Emissionen zu reduzieren? Der US-amerikanische Philosoph Walter Sinnot-Armstrong ist hier skeptisch. Es gebe zum Beispiel keine individuelle moralische Verantwortung, auf die sonntägliche Fahrt im Oldtimer zu verzichten, meint er. Schließlich werde der Klimawandel nicht verhindert, wenn ein Individuum auf eine Spazierfahrt verzichtet. Dies liegt ihm zufolge unter anderem daran, dass der Klimawandel das Resultat vieler Akteur*innen und vieler Handlungen weltweit ist. Dadurch sei die Kausalkette, die Frage nach Ursache und Wirkung, nicht auf individuelles Handeln zu reduzieren. Die Verhaltensänderung des Einzelnen ist laut Sinnot-Armstrong hierbei nicht auschlaggebend, und so ergibt sich auch keine moralische Verpflichtung, dies zu tun (vgl. Sinnott-Armstrong 2010). Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass Verantwortung erst dann zugeschrieben werden dürfe, wenn das (Nicht-)Handeln einen Unterschied mache und das Resultat verhindern könnte. Dieses Argument wird häufig als „No-Difference-Principle“ bezeichnet.

Sinnot-Armstrong zeigt, dass unser alltägliches Verständnis von Verantwortung bei Phänomenen wie der Klimakrise an ihre Grenzen stößt. Das No-Difference-Principle trifft besonders auf Fälle zu, in denen ein Ereignis nur zustande kommt, wenn viele verschiedene Akteur*innen (nicht) handeln. Der Klimawandel ist ein solches Phänomen. Darüber hinaus zeichnet sich die Klimakrise dadurch aus, dass Ursache und Wirkung zeitlich weit auseinanderliegen können. Es ist nahezu unmöglich nachzuweisen, dass das Ausstoßen von Treibhausgas zu Zeitpunkt X zu einer Dürre oder einem Unwetter zu Zeitpunkt Y führt. Die Forschung von Friederike Otto suggeriert hier aber Fortschritte (vgl. Otto 2019). Tatsächlich bleiben Treibhausgase über Generationen hinweg in der Atmosphäre. Zudem sind die Auswirkungen auch nicht lokal gebunden, das heißt ein steigender CO2-Ausstoß in Europa kann zu Hitzewellen in Afrika führen (vgl. Jamieson 2015). Gerade diese Faktoren machen die Zuschreibung von kausaler und moralischer Verantwortung an Individuen konzeptionell schwierig: Selbst, wenn ich mir Mühe gebe, möglichst nicht zu fliegen oder kein Fleisch zu essen, kann ich die Klimakrise nicht verhindern – zumindest nicht allein. Der Klimawandel ist ferner das Resultat unseres Wirtschaftens, zu dem der Ausstoß von CO2 gehört. Ob wir selbst produzieren oder konsumieren, auch auf einem niedrigen Niveau – wir können uns dieser Form des Wirtschaftens derzeit kaum entziehen. Dennoch tragen wir mit alltäglichen Handlungen zur Klimakrise bei, auch wenn wir sie nicht individuell verursachen. Die Unterscheidung zwischen Beitragen und Verursachen wird im Folgenden wichtig. Zunächst aber widmen wir uns dem Konzept kollektiver Akteur*innen.

Die Idee, dass individuelle Handlungen keinen Unterschied bei der Verursachung und Bekämpfung der Klimakrise machen und deshalb die Zuschreibung von Verantwortung erschwert wird, führt häufig zu einem Fokus auf Staaten. Dadurch, dass Staaten Gesetze erlassen können, binden sie eine große Gruppe von Menschen. Ein internationales Klimaabkommen, welches eine Reduzierung der Emissionen festlegt, gilt als wichtigstes Instrument in der Bekämpfung der Klimakrise. Verhandlungen um ein Klimaabkommen sind jedoch traditionell schwierig. Die Frage nach Verantwortung teilt sich erneut: Welche Staaten sollten ihre Emissionen wie stark reduzieren? Außerdem ist davon auszugehen, dass Kosten entstehen, wenn Emissionen reduziert werden sollen: Wer sollte diese tragen?

Die Idee, dass individuelle Handlungen keinen Unterschied bei der Verursachung und Bekämpfung der Klimakrise machen und deshalb die Zuschreibung von Verantwortung erschwert wird, führt häufig zu einem Fokus auf Staaten.

Die erste Frage ist komplex und kann hier nicht vollständig diskutiert werden. Im United Nation Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) wird das Konzept der „common but differentiated responsibilities“ (CBDR) betont. Demnach akzeptieren die unterzeichnenden Staaten eine gemeinsame Verantwortung und dass Industrienationen eine führende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels einnehmen sollen (vgl. UNFCCC 1992). Wie genau dies aussehen soll, ist aber noch Teil der Verhandlungen.

Geht es um die Frage nach Verantwortung zur Kostenübernahme, werden meist drei Prinzipien diskutiert:

  1. Das Polluter Pays Principle (PPP): Diejenigen Staaten, die das Problem maßgeblich verschuldet haben, in der Regel also die großen Industrienationen, tragen die Verantwortung und sollten einen maßgeblichen Anteil der Kosten übernehmen.
  2. Das Beneficiary Pays Principle (BPP): Diejenigen Staaten, die von Aktivitäten, die zum Klimawandel führen, maßgeblich profitieren, tragen die Verantwortung und sollten die Kosten übernehmen.
  3. Das Ability to Pay Principle (APP): Diejenigen Staaten, die die besten finanziellen Möglichkeiten haben, sollten Verantwortung übernehmen und die Kosten tragen. Eine Diskussion der drei Prinzipien findet sich bei Caney 2005.

Was diese Prinzipien unterscheidet, lässt sich am Umgang mit historischen Emissionen, also dem Ausstoß von Treibhausgasen in der Vergangenheit, der den menschgemachten Klimawandel bedingt und verstärkt hat, verdeutlichen. Das PPP formuliert eine klare Referenz hierzu und leitet daraus Verantwortung ab: Industrienationen, die über Jahrzehnte hinweg emittiert haben, sollten die Kosten für den Umgang damit tragen (vgl. Caney 2005). Was zunächst wie ein intuitiv nachvollziehbares Prinzip klingt, wurde immer wieder kritisiert. Ein zentraler Kritikpunkt dabei ist epistemischer Natur. Die Folgen der Industrialisierung und des Fokus auf fossile Brennstoffe waren lange unklar. Sollen Staaten Verantwortung für Folgen übernehmen, von denen sie zum Zeitpunkt des Handelns nicht wussten? Dieser Punkt hat jedoch eingeschränkte Kraft: Im Prinzip halten wir zwar Wissen um die Folgen als notwendig für eine Verantwortungszuschreibung, doch können Nationen sich weltweit seit dem ersten IPCC Bericht 1990 nicht mehr ernsthaft darauf berufen. Es bleibt jedoch die Frage, ob Staaten für Emissionen vor 1990 eine Art Freifahrtschein bekommen sollten. Gegen das PPP wird häufig angebracht, dass es unfair sei: Wenn Industrienationen Verantwortung für die Kosten der Klimakrise übernehmen, betrifft dies vor allem die Staatsbürger*innen, die jetzt leben. Die Emissionen sind aber zumeist auf Menschen zurückzuführen, die teilweise nicht mehr leben. Kurzum: Diejenigen, die jetzt die Kosten übernehmen, sind nicht dieselben, die emittiert haben.

Für Vertreter*innen des BPP ist dies nicht weiter problematisch. Mit dem Begriff „Beneficiary“ umschließen sie all diejenigen, die von den Emissionen profitieren. Dieses Prinzip insistiert weniger stark auf der direkten Zuschreibung von historischen Emissionen, bemisst ihnen aber eine Hintergrundrolle. Für Verfechter des BPP ist es im Gegensatz zum PPP somit nicht wichtig, die tatsächlichen Verursacher*innen zur Kasse zu bitten, sondern sie fokussieren sich auf den weiteren Kreis derjenigen, die durch die Entwicklungen profitiert haben (vgl. Page 2012). Lediglich das APP bricht mit der Idee der historischen Emissionen und zieht daraus keine direkte Folge für Verantwortung (vgl. Moellendorf 2014). Wenngleich die ability to pay natürlich mit vergangenen Emissionen korrelieren kann. Der Fokus liegt hierbei auf der Bestandsaufnahme, welche Staaten zum Zeitpunkt des Abkommens die nötigen finanziellen Mittel haben, um die Kosten zu tragen. Das APP ist pragmatisch, setzt sich aber der Kritik aus, Industrienationen einen Freifahrtschein für vergangene Emissionen auszustellen.

Zwischenfazit: Ist niemand für die Klimakrise verantwortlich?

Die Klimakrise ist scheinbar zu komplex für unser Verständnis von Verantwortung, welches Ursache und Effekt möglichst direkt miteinander zu verbinden versucht. Da der Klimawandel aber durch das Zusammenspiel vieler Akteur*innen entsteht, ist diese Verbindung nicht einfach herzustellen. Dies gilt sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene, wie wir an der Diskussion über eine gerechte Kostenverteilung gesehen haben.

Die Klimaprotestbewegung „Fridays for Future” fordert seit einiger Zeit institutioneller Akteure auf, eine gerechtere und zukunftsorientierte Klimapolitik umzusetzen. Foto: NiklasPntk/pixabay.de

Was folgt hieraus? Ist niemand verantwortlich für die Klimakrise? Liegt alle Verantwortung, sofern es sie gibt, beim Staat – oder spielt der Einzelne doch eine Rolle? Im Folgenden möchte ich anhand der Verantwortungskonzeption von Iris M. Young eine Möglichkeit entwerfen, wie wir unsere gemeinsame Verantwortung denken können. Akteure auf allen Ebenen tragen zur Klimakrise bei, wenn auch unterschiedlich stark, und die damit einhergehenden Handlungsmöglichkeiten sind ebenfalls sehr verschieden.

Strukturelle Ungerechtigkeiten und das Modell sozialer Verbundenheit

Die politische Theoretikerin Iris M. Young entwickelt in ihrem posthum erschienenen Buch Responsibility for Justice eine Konzeption sozialer Verbundenheit für die Bewältigung struktureller Ungerechtigkeiten (Young 2011). Sie geht der Frage nach, wie sich das Individuum im Verhältnis zu strukturellen Ungerechtigkeiten sehen soll: Welche Verantwortung trage ich für globale, strukturelle Ungerechtigkeiten wie die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen von Näher*innen in Bangladesch?

Die Klimakrise ist scheinbar zu komplex für unser Verständnis von Verantwortung, welches Ursache und Effekt möglichst direkt miteinander zu verbinden versucht.

Young beschreibt das Phänomen der strukturellen Ungerechtigkeit als sozialen Prozess, in dem eine oder mehrere soziale Gruppen systematisch unterdrückt, das heißt ihrer Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und -entwicklung beraubt würden. Dieser Prozess führe dazu, dass eine andere soziale Gruppe hiervon in Bezug auf ihre Selbstbestimmung und -entwicklung profitiere. Dabei resultieren nach Young strukturelle Handlungen aus vielen individuellen Handlungen, die als sozial akzeptiert gelten – trotz ihrer nicht-intendierten Konsequenzen, die nicht unmittelbar zu sehen sind. Hier besteht ein besonderes Problem: Die Handlungen sind moralisch falsch, gleichzeitig handelt das Individuum in Bezug auf akzeptierte Normen. Strukturelle Ungerechtigkeiten sind kein Unfall oder individuelles Scheitern; vielmehr sind sie implizit in der Art und Weise, wie wir leben und wie institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen wurden. Diese Beschreibung soll jedoch nicht fälschlicherweise den Eindruck erwecken, individuelle und kollektive Akteur*innen seien machtlos, im Gegenteil: Selbst wenn institutionelle Rahmenbedingungen strukturelle Ungerechtigkeiten ermöglichen, so können eben jene Bedingungen gemeinsam geändert werden (vgl. Young 2011, S. 60 f.).

In Bezug auf ihre Ausgangsfrage nach individueller Verantwortung für strukturelle Ungerechtigkeiten konstatiert Young, dass Verantwortungskonzepte, die zu stark in die Vergangenheit blicken und auf einer strengen Form kausaler Zuschreibungen beruhen, ungeeignet sind, um strukturelle Ungerechtigkeiten zu bewältigen. In Abgrenzung dazu formuliert sie ihr Modell sozialer Verbundenheit: Akteur*innen, die durch ihr Handeln zu struktureller Ungerechtigkeit beitragen, haben eine geteilte, politische Verantwortung zur Überwindung eben jener Ungerechtigkeiten (ebd., S. 110). Ziel ist es, die institutionellen Rahmenbedingungen zu verändern. Dabei geht es Young nicht um die Zuschreibung von moralischer Schuld. Die Abkehr von moralischer Schuld in Youngs Ansatz ist umstritten. Viele Autor*innen, mich eingeschlossen, sehen hier die Möglichkeit, Akteur*innen eine Ausweichmöglichkeit zu geben und so ihrer Verantwortung nicht gerecht werden zu müssen (vgl. Neuhäuser 2014). Vielmehr geht es ihr um die gemeinsame Verantwortung, ungerechte Prozesse umzugestalten. Was einzelne Akteur*innen machen sollen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, hängt von ihrer sozialen Position in der Struktur ab. Je mächtiger ein/e Akteur*in in Bezug auf seine/ihre Handlungsfähigkeit innerhalb einer Struktur ist, desto mehr Verantwortung kann zugeschrieben werden. Young definiert hierbei Parameter, die bei der Bestimmung der Verantwortung helfen sollen: Macht, Privileg, Interesse sowie kollektives Handlungsvermögen.

Die Klimakrise als strukturelle Ungerechtigkeit: Wer sollte strukturelle Veränderungen voranbringen?

Youngs Modell ist vielversprechend im Kontext der Klimakrise. Für erste Analysen vgl. Larrère 2018 sowie Eckersley 2016. Diese lässt sich als strukturelle Ungerechtigkeit verstehen, wenn wir etwa den Ausstoß von Treibhausgasen als nicht-intendiertes Nebenprodukt unseres Handelns verstehen. Zweifelsohne ist der Ausstoß von Treibhausgasen ein normaler Vorgang innerhalb akzeptierter Normengefüge und wird in der Regel nicht stark reflektiert. Dennoch ist er für Young ein Produkt unseres Handelns und somit ist es unsere Verantwortung, die strukturellen Bedingungen dafür zu ändern. Es kommt dabei weniger auf die Frage nach konkreten Verursacher*innen an, sondern verschiebt den Fokus auf das Beitragen durch Handlungen zur Klimakrise.

Dadurch haben wir einen breiten Pool an Akteur*innen, die gemeinsam strukturelle Rahmenbedingungen verändern sollen. Gleichwohl reflektiert Youngs Modell die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten verschiedener Akteur*innen. Wenngleich Young sich in ihrem Buch auf individuelle Akteur*innen bezieht, wird deutlich, dass auch institutionelle Akteur*innen mitgemeint sind (vgl. Young 2011, S. 95). Ich fasse hierbei den Begriff der institutionellen Akteur*innen weiter und verstehe darunter internationale Institutionen, Staaten und Firmen. Durch ihr Beitragen zur strukturellen Ungerechtigkeit – in Bezug auf die Klimakrise wäre dies zum Beispiel der Ausstoß von CO2 – haben sie eine Verantwortung, strukturelle Veränderungen voranzubringen. Aber, wie Young erläutert, in unterschiedlichen Ausmaßen. Die Parameter zur Bestimmung von Verantwortung implizieren, dass niemand mehr tun sollte als vernünftigerweise erwartet werden könnte. Was bedeutet das?

Die Klimakrise ist eine strukturelle Ungerechtigkeit. Sie offenbart deutlich, wo privilegierte Gruppen leben und dass benachteiligte Gruppen noch stärker Risiken ausgesetzt sind.

Nehmen wir an, eine große Gruppe von Akteur*innen weiß, dass ihr Handeln zur Klimakrise beiträgt. Das Wissen um den eigenen Beitrag zu strukturellen Ungerechtigkeiten ist zentral. Ich kann diesen Punkt hier nicht detaillierter ausführen (vgl. Doan 2016). Während Individuen zwar ihren ökologischen Fußabdruck verringern können, fehlt ihnen die Möglichkeit, strukturelle Veränderungen zu bewirken. Dies soll den Einfluss von Individuen, die sich zu Gruppen zusammenschließen, nicht schmählern. Im Gegenteil, sich politisch zu engagieren ist eine Möglichkeit, der Verantwortung im Modell sozialer Verbundenheit gerecht zu werden. Wichtig ist, die eigene soziale Position zu reflektieren und im Rahmen eigener Möglichkeiten, durch Protest und Engagement eine breitere Aufmerksamkeit auf strukturelle Ungerechtigkeit zu lenken und institutionelle Akteur*innen auf ihre Verantwortung hinzuweisen. Individuen spielen eine wichtige Rolle, jedoch vor allem im Zusammenspiel mit institutionellen Akteur*innen. Diese haben bessere Möglichkeiten, auf verschiedene Art und Weise strukturelle Veränderungen voranzubringen: CEOs können vergleichsweise direkteren Einfluss auf Emissionen ihrer Firmen nehmen als andere Akteur*innen, Staaten können verbindlichere Strategien und Gesetze entwerfen. In Bezug auf ein internationales Klimaabkommen unter Staaten kann dies bedeuten, dass Industrienationen ihre Emissionen nicht nur stärker reduzieren müssen, sondern auch aufgrund ihrer privilegierten Position und ihres stärkeren Beitragens einen Großteil der Kosten übernehmen müssen. In diesem Sinne könnte man von einer Kombination des PPP mit dem APP sprechen.

Eisberg – Der menschgemachte Klimawandel führt zu einschneidenden Veränderungen in den Ökosystemen. Foto: dassel/pixabay.de

Auf politischer Ebene gibt es bei der Bewältigung struktureller Ungerechtigkeiten eine weitere Schwierigkeit. Wie Robin Zheng schreibt, verstetigen sich strukturelle Ungerechtigkeiten meist gegenseitig. Das bedeutet, dass die Klimakrise auch eine Antwort auf die Armutskrise mitdenken muss (vgl. Moellendorf 2014). Diese wiederum haben eine diskriminierende Komponente: Menschen, die am stärksten von diesen Krisen betroffen werden, sind diejenigen, die innerhalb der Gesellschaft eine benachteiligte Position einnehmen, und dazu gehören strukturell unter anderem Frauen* (vgl. Dankelmann 2010). Zheng nennt dies die „Intersektionalitätsthese“ (Zheng 2018). Dies bedeutet für institutionelle Akteur*innen vor allem eine umsichtige Planung etwaiger Maßnahmen und ist unter anderem ein Grund, warum das vom UNFCCC deklarierte Right to Sustainable Development ein Grundpfeiler für Klimapolitik sein sollte (vgl. Moellendorf 2011). Es ermöglicht Staaten eine wirtschaftliche Entwicklung, die notwendig ist für die Armutsbekämpfung, und nimmt Industrienationen stärker in die Pflicht, Emissionen zu verringern.

Strukturelle Veränderungen erfordern schrittweise Änderungen, gerade wenn die Handlungen, die zu ihnen führen, tief verwoben sind in unserer Art zu leben. Die Klimakrise ist eine strukturelle Ungerechtigkeit. Sie offenbart deutlich, wo privilegierte Gruppen leben und dass benachteiligte Gruppen noch stärker Risiken ausgesetzt sind. Diese strukturellen Rahmenbedingungen zu verändern, hat größte Priorität. Es ist wichtig, Verantwortung zu übernehmen, sowohl auf individueller als auch institutioneller Ebene, und die Klimakrise nicht als unausweichliches Nebenprodukt zu sehen, sondern als veränderbar. Verantwortung für das eigene Beitragen zu strukturellen Ungerechtigkeiten zu übernehmen ist notwendig, eine umsichtige Verteilung auf Akteure und die Implementierung von Maßnahmen ist geboten. Youngs Modell sozialer Verbundenheit kann erklären, warum individuellen und institutionellen Akteur*innen jeweils Verantwortung, aber auch unterschiedliche Rollen bei der Realisierung struktureller Veränderungen zukommen.

Die Klimakrise zu bekämpfen, ist eine enorme Herausforderung. Wie Judith Shklar schrieb, wird es immer leichter sein, Unglück im Leiden anderer zu sehen. Was aber vorliegt, ist eine Ungerechtigkeit, der wir uns stellen müssen.

Zum Autor

Lukas Sparenborg (*1992) studierte Politikwissenschaften an der Universität Hamburg, sowie Politische Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der TU Darmstadt sowie der University of Southampton. Aktuell promoviert er an der Goethe-Universität Frankfurt zu den Themen Klimawandel sowie Generationengerechtigkeit aus der Perspektive struktureller Ungerechtigkeiten. Er ist außerdem Promotionsstipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung.
sparenborg@normativeorders.net

Foto: Ellen Nieß

Literatur

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Doan, Michael D. (2016): Responsibility for Collective Inaction and the Knowledge Condition. In: Social Epistemology, 30/5–6, pp. 532–554
Eckersley, Robyn (2016): Responsibility for Climate Change as a Structural Injustice. In: Gabrielson, Teena/Hall, Cheryl/Meyer, John/Schlosberg, David (Eds.): The Oxford handbook of environmental political theory. 1st edition. Oxford: Oxford University Press, pp. 346–361
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Larrère, Catherine (2018): Responsibility in a Global Context: Climate Change, Complexity, and the “Social Connection Model of Responsibility”. In: Journal of Social Philosophy, 49/3, pp. 426–438
Moellendorf, Darrel (2011): A Right To Sustainable Development. In: The Monist, 94/3, pp. 433–452
Moellendorf, Darrel (2014): The Moral Challenge of Dangerous Climate Change. Values, poverty, and policy. New York: Cambridge University Press
Neuhäuser, Christian (2014): Structural Injustice and the Distribution of Forward-Looking Responsibility. In: Midwest Studies In Philosophy, 38/1, pp. 232–251
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Page, Edward A. (2012): Give it up for climate change: a defence of the beneficiary pays principle. In: International Theory, 4/2, pp. 300–330
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Sinnott-Armstrong, Walter (2010): It’s Not My Fault: Global Warming and Individual Moral Obligations. In: Gardiner, Stephen M./Caney, Simon/Jamieson, Dale/Shue, Henry (Eds.): Climate ethics. Essential readings. Oxford: Oxford Univ. Press, pp. 332–346
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Young, Iris M. (2011): Responsibility for justice. New York: Oxford University Press
Zheng, Robin (2018): What is My Role in Changing the System? A New Model of Responsibility for Structural Injustice. In: Ethical Theory and Moral Practice, 21/4, pp. 869–885