Außerschulische Bildung 4/2023

„Vergoldete Ketten bleiben immer noch Ketten, die es zu durchbrechen gilt“

Feministischer Aktivismus in Südosteuropa

Die Länder des Westbalkan blicken auf eine bewegte Geschichte zurück, deren Erzählung im Westen Europas durch Stereotypisierung und bevormundende Erziehungshaltung verschwimmt und die nicht nur innerhalb der Region durch eine Vielfalt nationalistischer Geschichtsinterpretationen verzerrt wird. Für die verschiedenen Rollen, die Frauen – in der Öffentlichkeit oder im Hintergrund – in dieser Geschichte gespielt haben und spielen, bleibt oft wenig Raum. Ebenso bleibt das vielfältige feministische Engagement, das sich seit Jahren in der Region strukturiert und, mit regionaler Varianz, auf eine teils lange Geschichte zurückblickt, oft unsichtbar. Überall auf dem Westbalkan regt sich feministischer Widerstand, der in ein paar seiner Facetten in diesem Artikel vorgestellt wird. von Marie Jelenka Kirchner

Der Begriff Westbalkan ist eine politische Kategorisierung im Kontext von EU-Erweiterungspolitik und beschreibt die ehemals jugoslawischen Länder Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie Albanien. Nach Auflösung der sozialistischen Systeme und der kriegerischen Auseinandersetzungen in den 1990er-Jahren befinden die Länder sich nach wie vor in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsolidierungsprozessen. Gleichstellung wird trotz ihres Transformationspotenzials oft zweitranging oder gar nicht behandelt. Dabei ist in einem globalen Klima antidemokratischer Strömungen, verknüpft mit misogynen Narrativen, ein klares Bekenntnis zu gleichberechtigten Gesellschaftsstrukturen nachweislich von zentraler Bedeutung für nachhaltig demokratische Strukturen.

Wie misst man Gleichstellung?

Der Blick auf europaweit standardisierte Gleichstellungsstatistik zeigt z. B. Serbien im europäischen Vergleich im unteren Drittel verortet, in direkter Nachbarschaft zu EU-Mitgliedsstaaten wie Kroatien, Zypern, Bulgarien und Estland. Die Einleitung zum jüngsten Gender Equality Index for the Republic of Serbia 2021, der sich auf Zahlen aus 2018 bezieht, konzentriert sich auf den überdurchschnittlich guten Wert im Bereich „Macht“ (vgl. Babović/Petrović 2021). Im Teilaspekt „politische Macht“ liegt Serbien mit u. a. einer weiblichen Premierministerin Ana Brnabić über dem EU-Durchschnitt, im Teilaspekt „wirtschaftliche Macht“ (Vorstandspositionen in börsennotierten Unternehmen, Banken etc.) nur knapp darunter. Doch nicht alles was glitzert ist Gold und die komplex ausdifferenzierten Gleichstellungs-Indexe des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) zeigen deutlich, dass Gleichberechtigung kompliziert in Zahlen zu fassen ist – und auch, dass eine hohe Quote weiblicher Politikerinnen nicht automatisch gleichberechtigte Gesellschaftsstrukturen bedeutet, vor allem, wenn eben jene einflussreichen Politikerinnen sich loyal mit der konservativen oder national-chauvinistischen Parteilinie zeigen.