Junge Menschen und ihr Blick auf die Zukunft unserer Gesellschaft
Wer kennt es nicht, das Zitat, das Sokrates zugeordnet wird, aber wohl eigentlich viel neueren Datums ist?
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ https://falschzitate.blogspot.com/2017/04/die-jugend-liebt-heutzutage-den-luxus.html (Zugriff auf diesen und alle weiteren in diesem Beitrag genannten Links: 21.03.2022)
Unserem Bild von jungen Menschen entspricht das nicht.
Aber über wen reden wir hier eigentlich?
„Die Jugend“ wird in den vielen Studien unterschiedlich definiert. So variiert schon die Einordnung verschiedener Altersgruppen. Jugendlich ist, wer 12–27 oder 15–24 Jahre alt ist? Welches Alter genau zur „Jugend“ gehört – darüber gibt es keine einheitliche Regel. Je nachdem, welche Jahrgänge man in diese Gruppe einbezieht geht es aber immerhin um 10–12 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland.
Die aktuellste SINUS-Jugendstudie von 2021 fasst ihre Erkenntnisse über die jungen Menschen wie folgt zusammen: „DIE Jugendlichen oder Generation Z gibt es nicht, auch in dieser Altersgruppe existiert eine große soziokulturelle Vielfalt.“ (www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-jugendmilieus)
Es gibt also „die Jugend“ nicht. Bei allen weiteren Betrachtungen muss dies im Blick behalten werden: Es sind Individuen, von denen die Rede ist. Alle auf ihre Weise besonders. Dieser individuelle Blick ist wichtig, um die notwendigerweise verallgemeinernden Erkenntnisse aus Studien immer wieder darauf zurückbeziehen zu können und den eigenen Blick auf junge Menschen in diese wissenschaftlichen Erkenntnisse einzuordnen. Insbesondere für Menschen aus der Bildungspraxis erscheint diese Anmerkung wichtig.
Also: Was beschäftigt junge Menschen eigentlich? Was ist ihnen wichtig?
Wenig überraschend steht das Umweltbewusstsein ganz oben auf der Liste der Themen, die jungen Menschen wichtig sind. Die heutige junge Generation kommt damit fast an die junge Generation Ende der 70er heran – die Zeit, in der Bündnis 90/Die Grünen gegründet wurde. Heute gehören sie zur Regierungskoalition.
Auch die Pluralität in unserer Gesellschaft ist jungen Menschen ein wichtiges Anliegen und wird ihnen immer wichtiger.
Und – etwas, das uns immer wieder erstaunt und dem einen oder anderen Alt-68er vielleicht den Schweiß auf die Stirn treibt – der Aspekt „Gesetz und Ordnung respektieren“ gewinnt an Zuspruch, während „Kreativität und Fantasie“ leicht rückläufig stagnieren (vgl. Albert et al. 2019, S. 105 f.). Es ließe sich sicher viel darüber diskutieren, was sich dahinter verbirgt und woher diese Entwicklung kommt. Und auch wohin das führt: Denn, brauchen wir nicht sehr viel Kreativität, wenn wir die großen Herausforderungen unserer Zeit angehen und lösen wollen?
Mit Blick auf die gegenwärtige Zeit der Kontaktbeschränkungen und des eingeschränkten sozialen Lebens in der Corona-Pandemie gibt es ebenfalls interessante statistische Werte: Man könnte nämlich meinen, dass die jungen Menschen schon geahnt hätten, was auf sie zukommt: Schon seit 2010 nimmt der Wunsch nach vielen sozialen Kontakten stetig ab (vgl. ebd., S. 157). Gleichzeitig kommt in der vierten McDonald’s Ausbildungsstudie von 2019 zum Ausdruck, dass „gute Freunde haben“ für junge Menschen das wichtigste Lebensziel ist. Gute Freunde! Nicht viele Freunde! Direkt danach kommt Gesundheit und ein guter Beruf (vgl. McDonald’s Deutschland 2019, S. 14).
Was treibt junge Menschen um?
Die SINUS-Studie (vgl. Calmbach et al. 2020) bildet eindrücklich ab, mit welchen Themen junge Menschen sich befassen – aufgegliedert nach globalen Themen, innenpolitischen und außenpolitischen.
Und es wird den einen überraschen und die andere überhaupt nicht: Die meist Antworten sind ziemlich deckungsgleich mit den Themen, die auch die ältere Generation in den Fokus gesellschaftlicher Debatten stellt.
Wie wir insbesondere in den letzten zwei Jahren unter Pandemiebedingungen gelernt haben, aber vielleicht auch angesichts der Fluchtthematik 2015, spielen Ängste eine erhebliche Rolle, wenn es um die Frage von Gesellschaft geht. Es braucht also eine Auseinandersetzung mit den Ängsten junger Menschen, wenn wir diese in Bildungsprozessen ermutigen wollen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Wovor haben junge Menschen heute Angst?
Auch hierzu geben Jugendstudien Informationen, die aufschlussreich sein können. Laut der McDonald‘s Ausbildungsstudie von 2019 nahm Angst vor Terror, Krieg und Gewalt in den letzten Jahren ab und machte damit einem anderen Faktor Platz: dem Klimawandel (vgl. McDonald’s Deutschland 2019, S. 16). Außerdem sank die Angst, keinen Arbeitsplatz zu finden; dafür stieg die Angst, keinen bezahlbaren Wohnraum mehr zu finden. Detailliertere Untersuchungen zeigen zudem, dass die Angst vor dem Klimawandel ein schichtübergreifendes Phänomen ist – also keineswegs nur das der gehobenen Schicht – wie es oft medial dargestellt wird. Ob diese Befunde angesichts der aktuellen Weltlage heute noch so stimmen, ist eine andere Frage.
Die aktuellste Trendstudie Jugend in Deutschland. Winter 2021/22 (vgl. Schnetzer/Hurrelmann 2022) fragt ebenfalls nach den Themen, die jungen Menschen Sorge bereiten. Klimawandel bleibt trotz Corona an erster Stelle, gefolgt von der Besorgnis über den Bestand des Rentensystems, über die Folgen der Inflation, die weitere Spaltung der Gesellschaft und das Erstarken rechtsextremer Parteien (vgl. ebd., S. 22).
Doch natürlich haben die aktuellen Geschehnisse auch Auswirkungen auf die jungen Menschen ganz individuell.
„Die Corona-Pandemie hat große Teile der jungen Generation psychisch stark belastet und ihnen das unangenehme Gefühl eines Kontrollverlustes verschafft. Im Verlauf des letzten Jahres haben sich diese Unsicherheiten etwas abgebaut, sie bewegen sich aber immer noch auf einem hohen Niveau: Rund 40 % der Befragten klagen über Beeinträchtigungen ihrer psychischen Befindlichkeit. Der Corona-Schock baut sich in der jungen Generation nur allmählich ab.“ (Ebd., S. 11)
Angst als Motor für Veränderung?
Wie reagieren junge Menschen auf ihre Ängste und Sorgen? Was tun sie gegen die aus ihrer Sicht negativen Entwicklungen? Engagieren sie sich genug? Oder stecken sie den Kopf in den Sand, der derzeit zunehmend zur Mangelware wird?
Das politische Interesse junger Menschen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, wenngleich es nun in eine Phase der Stagnation auf recht hohem Niveau übergeht (vgl. Albert et al. 2019, S. 49 ff.).
Dass das politische Interesse und das Engagement für die Gesellschaft (weiter Politikbegriff) in den letzten Jahren etwas schwankt, insgesamt dabei leicht rückläufig ist (vgl. ebd., S. 157), hat vielleicht damit zu tun, dass junge Menschen sich bei den Befragungen – und das hören wir auch in der Jungen Akademie in Frankfurt am Main sehr oft – nicht gehört und beteiligt fühlen. In der SINUS-Studie wird genau das auch belegt: „Die Jugendlichen beklagen die mangelnde Teilhabe und die unzureichende politische Repräsentation der jungen Generation. Immer wieder angeführte Themen sind: die als zu gering angemahnte Teilhabe der jungen Generation an politischen Entscheidungsprozessen sowie die mangelnde Repräsentation von Jugendlichen und ihren Anliegen im politischen Raum. Verbreitete Überzeugung unter den Befragten ist, dass die Jugend nicht gehört wird und Jugendliche von den Politiker*innen bzw. von der etablierten Politik nicht ernst genommen werden. Häufig unterstellt man diesen – wenn nicht der gesamten älteren Generation – Ignoranz und Zynismus. Diese Kritik findet sich in allen jugendlichen Lebenswelten.“ (Calmbach et al. 2020, S. 410)
Das Gefühl, nicht angemessen beteiligt zu sein, findet sich in allen jugendlichen Lebenswelten wieder – sowohl im schulischen Umfeld als auch in der Freizeit und natürlich im Gesellschaftspolitischen.
Das Gefühl, nicht angemessen beteiligt zu sein, findet sich in allen jugendlichen Lebenswelten wieder – also sowohl im schulischen Umfeld als auch in der Freizeit und natürlich im Gesellschaftspolitischen (vgl. ebd.). Dieser Befund ist insofern wichtig, als dass so nicht nur eine Änderung des Wahlrechts – ein sehr komplexes Ereignis – eintreten muss, um den Mangel zu reduzieren. Auch in zivilgesellschaftlichen und flexibleren Systemen wie Vereinen, Bewegungen, Kirchen etc. kann mehr für die Teilhabemöglichkeiten junger Menschen bewegt und befördert werden. Damit ließe sich sicher auch ein wichtiger Beitrag für die Zuversicht unter jungen Menschen mit Blick in ihre Zukunft leisten.
Es geht um einen Mangel an Repräsentation und um mangelnde Teilhabechancen an Entscheidungen. Und das nicht nur in der Jugendphase, sondern auch perspektivisch – denn nicht wenige Menschen dieser Altersgruppe werden voraussichtlich auch in ein paar Jahren, wenn sie volljährig sind, von Wahlen ausgeschlossen sein, denn sie haben keinen deutschen Pass.
Laut der aktuellen Trendstudie Jugend in Deutschland Winter 2021/22 wünschen sich fast die Hälfte der Befragten eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Zwei Drittel befürworten Volksabstimmungen, um politische Entscheidungen zu treffen (vgl. Schnetzer/Hurrelmann 2022, S. 25).
Zukunft: eine Frage des Vertrauens
Durch die Einschränkungen in der Pandemie-Zeit hat auch das Wertegerüst der jungen Menschen deutlich geschwankt. „Eine so starke Veränderung in den Top-Werten gab es in dieser Zeit noch nie. Der neue Top-Wert der jungen ‚Generationen Y und Z‘ ist Vertrauen. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie (Wirtschaftskrise, Lockdown, zerstörte Zukunftspläne, Familie und Freundschaft mit Social Distancing, brachliegendes Vereinsleben etc.) haben in beispiellosem Maß das Vertrauen der Bevölkerung auf die Probe gestellt und es in vielerlei Hinsicht zerstört.“ (Schnetzer/Hurrelmann 2020).
Interessant ist, was sich daraus für junge Menschen ableitet: In der Trendstudie Jugend in Deutschland Winter 2021/22 wird deutlich, wie weitsichtig junge Menschen in ihre Zukunft schauen und daraus auch klare politische Positionen ableiten. So kommen die Wissenschaftler*innen zu dem Ergebnis, dass die drei wichtigsten Anliegen junger Menschen die Sicherung der Rente, die Absicherung einer lebenswerten Zukunft (Stichwort Klimakrise) sowie die Digitalisierung des Bildungswesens sind. Insbesondere der Spitzenreiter „sichere Rente“ (Schnetzer/Hurrelmann 2022, S. 23) wird einige überraschen, er leitet sich aber nicht zuletzt daraus ab, dass junge Menschen sehr genau beobachten, dass gegenwärtig Politik hauptsächlich von derjenigen Generation gestaltet wird, die noch davon ausgehen darf, eine Rente zu erhalten. Junge Menschen hingegen können sich dessen nicht mehr sicher sein, weshalb sie auch fast die Hälfte der Befragten für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre plädiert und zudem nahezu 70 % für mehr Volksabstimmungen sind (vgl. ebd., S. 25).
Hieraus lässt sich ziemlich eindeutig ein Wunsch nach Mitbestimmung einerseits, aber auch ein großes Misstrauen in die derzeit handelnden Personen ablesen.
Mit Blick auf die Effekte der Pandemie und das Thema Vertrauen sind zwei Dinge besonders spannend – und zugleich alarmierend. Um die 40 % der jungen Menschen leiden auch im Winter 2021 noch immer unter Zukunftsangst, 32–40 %, unter psychischer Belastung (vgl. Andresen et al. 2022, S. 12). Wir haben es hier mit einer beängstigenden Zahl zu tun, die uns als Gesellschaft alarmieren sollte. Was wird aus einer Generation, die über Jahre solchen Belastungen und Beeinträchtigungen ausgesetzt wird? Der aktuelle Krieg in der Ukraine wird diesen Effekt voraussichtlich verschärfen. Auch der Kontrollverlust, den junge Menschen gerade erleben (37 %), hat Auswirkungen auf das Vertrauen in die Gesellschaft, in die Politik und die Institutionen. Und natürlich auch in die eigene Zukunft (Schnetzer/Hurrelmann 2022, S. 4).
Optimismus in düsteren Zeiten
Was uns persönlich an jungen Menschen immer wieder beeindruckt ist, dass sie trotz all der düsteren Aussichten – Klimakrise, Pandemiebewältigung, psychische Belastung und Zukunftsängste – dennoch einen positiven Blick auf die Dinge richten können und die Hoffnung nicht aufgeben. Besonders schön zeigt sich das in der Jugendstudie der TUI-Stiftung (2019, S. 11). Hier werden verschiedene Aspekte aus dem politischen Spektrum abgefragt und von den jungen Menschen eher als Bedrohung oder eher als Chance eingeordnet. Und tatsächlich betrachten junge Menschen Klimaschutz und Umweltpolitik eher als Chance denn als Risiko. Ebenso werden das Phänomen der Digitalisierung und die offenen Grenzen der EU als Chance betrachtet (vgl. ebd.).
Diese unterschiedlichen Blickrichtungen in die Zukunft zeichnen sich – wenn man verschiedene Studien vergleicht – als sehr ambivalent aus. Einerseits wird der Klimawandel, der aus junger Sicht mangelhafte Reformwille in Sachen Digitalisierung und Bildung etc. als Herausforderung betrachtet, die junge Menschen besorgt. Andererseits verlieren sie nicht den Mut und die Hoffnung, gerade diese „Baustellen“ auch als Chance zu betrachten, an deren Ausgestaltung und Entwicklung sie aktiv mitwirken wollen. Nicht umsonst kommt die 18. Shell-Jugendstudie zu dem Ergebnis, von einer „adaptiv-pragmatische Generation“ zu sprechen (Albert et al. 2019, S. 13 ff.).
Fazit
Es gibt eine Menge, was wir über die Generation „Jugend“ wissen. Und das Interesse lässt nicht nach. Im Gegenteil. Und das ist auch gut so! Denn wir haben es hier mit jenen Menschen zu tun, die eine Menge werden aushalten müssen. Und sie werden gestalten müssen, schmerzhafte Entscheidungen (er-)tragen und sich mit dem Thema Verzicht auseinandersetzen müssen. Der noch immer oft gehörte Vorwurf, wir hätten es mit einer „Generation Party“ zu tun, erscheint nach den vorliegenden Studien mehr als unfair.
Was uns persönlich an jungen Menschen immer wieder beeindruckt ist, dass sie trotz all der düsteren Aussichten – Klimakrise, Pandemiebewältigung, psychische Belastung und Zukunftsängste – dennoch einen positiven Blick auf die Dinge richten können und die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Trendstudie Jugend in Deutschland Winter 2021/22 zeichnet – ebenso wie die anderen genannten Studien – „das Bild einer politisch wachen und aktiven jungen Generation, die sich nur allmählich von den einschneidenden Auswirkungen der Corona-Pandemie erholt, die sie in einer äußerst sensiblen Lebensphase getroffen hat. Die Ergebnisse machen deutlich: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland sind sich ihrer wichtigen gestalterischen Rolle für die Zukunft des Landes durchaus bewusst. Eine beachtlich große Minderheit unternimmt bereits Schritte zur Veränderung und engagiert sich politisch. Die große Mehrheit zögert noch und wartet auf Entscheidungshilfen durch die Politik.“ (Schnetzer/Hurrelmann 2022, S. 3)
Will man die Basis der Demokratie auch bei jungen Menschen erhalten, wäre gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, auf diese Generation ein größeres Augenmerk zu richten und ihnen einerseits die Gestaltungsspielräume zu geben, die sie fordern, und andererseits auf die hilfreichen Tipps der jungen Generation an jene, die gerade „an der Macht sind“, zu hören. Denn junge Menschen haben ganz konkrete Vorstellungen, wie und mit welchen Attributen Politik und Gesellschaft gestaltet werden sollte:
- „Ehrlichkeit und Authentizität
- Die Bevölkerung mehr in den politischen Diskurs einbinden
- Die Wahrheit sagen und nicht unnötig Angst machen
- Nicht wie Politiker denken, sondern wie Bürger
- Ehrlichkeit und mehr auf die Bevölkerung hören und wieder ein Wir-Gefühl schaffen
- Sich mehr mit der Umwelt beschäftigen
- Nicht nur die ökonomischen Ziele fokussieren, sondern auch die sozialen und
- ökologischen Ziele mehr berücksichtigen
- Sich mehr mit den Bedürfnissen der jüngeren Generation beschäftigen
- Längere Haltbarkeit von Zukunftsentscheidungen“ (Schnetzer/Hurrelmann 2020)
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