Außerschulische Bildung 1/2020

Was heißt und wie begründet man Solidarität?

Plädoyer für den sparsamen Umgang mit einem (zu) häufig verwendeten Begriff

Der Begriff „Solidarität“ ist machtvoll und unscharf zugleich. So kann er als ein – schmerzhafte Opfer einfordernder und emotionalen Druck erzeugender – Anspruch auftreten, er kann aber auch nicht mehr verlangen als die normalen Leistungen ethisch-moralischer Zuwendung. Dabei steht er häufig in ungeklärtem Verhältnis zum Begriff und zur Idee der Gerechtigkeit. Um einen tragfähigen Boden für die weiteren Überlegungen zu haben, wird von der Annahme ausgegangen, dass „Solidarität“ als ein Konzept ausdrücklicher und abgrenzbarer Gemeinschaftlichkeit zu verstehen ist; also nicht universalistisch und nicht primär ethisch-moralisch, sondern vor allem in Hinsicht auf die Interessen begrenzter Gruppen. von Georg Kohler

Solidarität als Element begrenzter Gemeinschaftlichkeit

Solidarisch sind und handeln wir normalerweise im Kontext einer besonderen Zusammengehörigkeit. Das solidarische „Wir“ bedeutet dann viel mehr als eine abstrakte Allgemeinheit. Es ist nicht Ergebnis irgendeiner (gesellschaftstheoretischen oder staatsrechtlichen) Verallgemeinerung wie das die Staatsangehörigkeit oder die individuelle Gemeinsamkeit einer soziologisch relevanten Eigenschaft (Einkommensgröße, Klasse, Bildungsgrad etc.) sind. Zur Wirklichkeit von Solidarität gehört immer die emotionale Bindung an den Bestand sowohl der Gruppe als solcher als auch an das Wohlergehen derjenigen, die ihr angehören.

Solidarität entsteht nicht ohne Grund als Element eingeschränkter, partikulärer Wir-Einheiten. Sozialpsychologisch einleuchtend konstatiert das etwa Richard Rorty: „Unser Solidaritätsgefühl (ist) am stärksten, wenn die, mit denen wir uns solidarisch erklären, zu ‚uns’ gehören und ‚Wir’ etwas enger Begrenztes als die Menschenrasse ist. Das kommt daher, dass die Begründung ,weil sie/er ein Mensch ist’ eine schwache, nicht überzeugende Erklärung für eine großzügige Handlung liefert.“ (Rorty 1989, S. 308) Genau das ist aber anders, wenn jemand eben „einer/eine von uns“ ist, weil sie/er „zur Familie“ gehört oder zum „Stamm“ oder (und immer noch) zu jener fiktiven Abstammungsgemeinschaft, die sich seit bald 200 Jahren „Nation“ nennt.