Außerschulische Bildung 2/2022

Wie wollen wir in der Zukunft zusammenleben?

Eine spielbare Annäherung an Fragen der Digitalisierung

Die Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“ hat im Jahr 2021 begonnen, das Online Escape Game „Archiospace” zu entwickeln, das sich spielerisch Fragen der Digitalisierung und des gesellschaftlichen Zusammenlebens rund um Algorithmen, Programmieren und künstliche Intelligenz nähert. In diesem Text werden Ziele, Entstehungsgeschichte und Anwendungsmöglichkeiten für den pädagogischen Bereich vorgestellt. von Marc Rüdiger

Das Jahr 2020 hat viele Menschen zu neuen oder alternativen Formen des sozialen Miteinanders gebracht. Videokonferenzen wurden für viele Menschen alltäglich. Zugleich mussten Anbieter*innen verschiedener Freizeit- und Unterhaltungsangebote digitale Alternativen entwickeln, um weiter zu bestehen. Im Falle von Escape Rooms wurden Escape Games u. a. remote gespielt, d. h. Mitarbeitende von Escape Game-Anbietenden wurden mit Kameras per Netz gelenkt und lösten so die Rätsel für die Menschen am heimischen Rechner. Zugleich wurden Webalternativen mit interaktiven Spielelementen ähnlich Point&Click-Adventures oder Wimmelbildspielen entwickelt, um weiter für sich zu werben und sich finanziell über Wasser zu halten.

Für die Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie” war Ende des Jahres 2020 klar, dass sie Escape Games als Möglichkeit nutzen kann, um spielerisch Themen der Digitalisierung anzusprechen, da sich die Teilnehmenden ohnehin gerade an den digitalen Geräten befanden, mit dem sie sich am besten mit Medien, Programmierung und Digitalisierung auseinandersetzen können.

In einem gemeinsamen Projekt haben sich die Jugendbildungsreferent*innen zusammen mit freien Referent*innen und der Unterstützung vieler freiwilliger Personen daran gewagt, einen Prototypen zu entwickeln, der im Rahmen einer Fortbildung der Kolleg*innen im Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) erstmalig vorgestellt und seitdem bereits mehrfach überarbeitet wurde. Die Projektleitung hatte der Autor dieses Beitrags aus der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein inne.

Projekt- und Lernziele

Das Projekt hatte zum Ziel, einen Multiplayer-Escape Room mit Off- und Onlineaufgaben für die Auseinandersetzung zu Themen rund um Digitalisierung in der Bildungsarbeit und in Arbeitsprozessen in Bildungsstätten der politischen Jugendbildung und anderen Lernorten zu entwickeln und zu erproben.

Ziel ist es, sich mit Chancen und Grenzen von Digitalisierung am Arbeitsplatz Bildungsstätte, in der Bildungsarbeit und in Arbeitsprozessen, für deren Realisierung digitale Kompetenzen notwendig sind, auseinanderzusetzen.

Ziel ist es, sich mit Chancen und Grenzen von Digitalisierung am Arbeitsplatz Bildungsstätte, in der Bildungsarbeit und in Arbeitsprozessen, für deren Realisierung digitale Kompetenzen notwendig sind, auseinanderzusetzen.

Ebenso soll für neue Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens, Arbeitens und Handelns in Teams durch digitale Tools/Instrumente sensibilisiert werden.

Spielziel

„In welcher Gesellschaft wollen wir heute und morgen zusammenleben?” ist die Ausgangsfrage, die hinter dem Escape Game steckt. Die Beschreibungen von Spielziel und -idee entstanden mit freundlicher Unterstützung von Annette Ullrich, Bildungsreferentin in der Stiftung wanseeFORUM, und Teilen der Fach- sowie Projektgruppe. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft schreitet rasant voran. Um diesen Prozess mitgestalten zu können und eigene Handlungsoptionen kennenzulernen, bedarf es der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz, Algorithmen & Co. Dieses Escape Game soll Neugier und Lust auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit Digitalisierung und damit verbundenen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen auf gesellschaftlicher sowie individueller Ebene wecken.

Die Spielenden lernen in den verschiedenen Räumen unterschiedliche Aspekte des Themas kennen und müssen gleichzeitig im digitalen Raum gemeinsam handeln, um die gestellten Aufgaben lösen zu können.

Einstieg in das digitale Edu-Escape Game „Archiospace“ (www.archiospace.de) Foto: Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“

Um die einzelnen Räume wieder verlassen zu können, benötigen die Spielenden einen Code, den sie durch die Lösung der Raumaufgabe erhalten. Diesen Code können sie am Ende in die „Lösungsmaschine” eingeben. Diese ist gleich zu Beginn des Spieles zu sehen, aber nur mit den Codes der einzelnen Räume verwendbar, um eine abschließende Antwort, bzw. Lösung zu geben.

Bei Eingabe aller erforderlichen Codes erhalten die Spielenden eine besondere Botschaft. Weitere Preise/Belohnungen können durch die Spielleitung angekündigt und ausgegeben werden, sind aber nicht Teil des Onlineangebots.

Spielidee

Wenn wir in den heutigen Tagen in ein Museum gehen und uns eine Ausstellung über das vergangene Jahrhundert anschauen, machen wir das mit einiger Distanz, vielleicht sogar mit einem arroganten Blick auf eine möglicherweise rückständige Technologie.

In dieser digitalen Ausstellung soll der Blick auf unsere derzeitige Entwicklung im Bereich der Digitalisierung geworfen werden und zu Fragen anregen, was in der Zukunft sein könnte. Wir wollen dabei von einer positiven Wende ausgehen, also einer utopischen und keiner dystopischen Zukunftsvorstellung. Die einzelnen Ausstellungsstücke sind dabei nur Spuren, die einer Interpretation der Spielenden bedürfen.

Die Spielumgebung ist von Science-Fiction inspiriert und die Ausstellungsstücke z. T. kryptisch. Das Setting und die Vorgehensweise werden per Video eingeführt. Hier wird erklärt, dass die Spielenden zu Internetarchäolog*innen werden, die alte (Kultur-)Techniken „ausgraben“ und sich Funde zu erklären versuchen. Dabei lehnt es an das Konzept an, Archäologie als „Interpretationssache“ zu verstehen, eigene Schlüsse und Vorgehensweisen zu wählen.

Entwicklung

Zu Beginn des Projektes ließen sich die Kolleg*innen der Fachgruppe zu Escape Games und deren möglichen Einsatz im Bildungsbereich fortbilden und holten sich im Bereich der Programmierung bewanderte freiberufliche Referent*innen hinzu. Für die Ideenentwicklung und Umsetzung verschiedener Ansätze waren des Weiteren die Freiwilligendienstleistenden der verschiedenen Einrichtungen von großem Wert, die sich ebenfalls an dem Projekt beteiligten.

Um die Umsetzung stetig voranzutreiben, gegenseitig als Testgruppe zur Verfügung zu stehen und ggf. Lösungen für auftretende Probleme zu finden, traf sich die Gruppe online in den sogenannten Wednesday Workshops. Sie hat sich bei der virtuellen Umgebung des Escape Games für die Plattform Workadventure (https://workadventu.re) entschieden. Bei Workadventure handelt es sich um eine virtuelle Umgebung eines kleinen Pariser Unternehmens, in der sich Nutzer*innen mit Hilfe eines Woka (Avatars) in einer 2D-Landschaft bewegen und begegnen können. Die Software bietet hierbei den Rahmen, um Video- und Livestreams, Chats, Whiteboards oder geteilte Dokumente einzubetten. Dadurch hat sie sich bereits als gute Plattform für verschiedene digitale Treffen etabliert, z. B. beim Barcamp politische Bildung im virtuellen ABC Hüll (virtuelles.abc-huell.de). Durch einen Karteneditor (Tiled) war es möglich, eigene Räume zu entwerfen und einzubinden.

Im Laufe des Jahres 2021 wurden Escape Games bei mehreren Fortbildungen vorgestellt und deren Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dabei konnten die Teilnehmer*innen das Escape Game unter Anleitung der beteiligten Referent*innen spielen und werteten es anschließend aus. Somit gab die Fachgruppe ihre Erkenntnisse bei der Verbindung von spielerischen Ansätzen mit Inhalten der politischen Bildung weiter und gab Anknüpfpunkte zur Weiterarbeit, da eines der Kernziele war, die Arbeit an dem Projekt auch nach außen zu tragen.

Designrahmen

Für die Erstellung des gesamten Spiels und der einzelnen Räume waren der Gruppe einige Designziele wichtig, die die Erstellung nicht vereinfachten, aber eine Anpassung und Modifizierung möglich machen.

Zum einen war es wichtig, dass das Escape Game auch allein spielbar ist. Selbst beim Einsatz in Bildungsveranstaltungen können die Gruppen ohne eine Spielleitung auf eine Lösung kommen. Aus den Erfahrungen von Bildungsrollenspielen können wir jedoch sagen, dass eine Spielleitung die Immersion des Spiels steigern kann und sich die Spielenden nicht so verloren fühlen. Zum anderen sollen alle Aufgaben bzw. Räume modular nutzbar sein. Sie sind über einzelne Links aufrufbar und können selbst unabhängig von der Spielstory genutzt werden. Diese bietet jedoch einen größeren Rahmen, in dem die Teilnehmenden verschiedene Aspekte von Digitalisierung kennenlernen.

Foto: Grafik von Pauline Recke; Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“

Der Gruppe war es wichtig, dass das Escape Game in verschiedenen Bildungsstätten mit den dort vorhandenen Mitteln umsetzbar ist, d. h., dass Computer technisch den meisten Komfort bieten, aber eine Umsetzung auf Tablets oder Smartphones ebenfalls möglich ist. Dabei sind wir abhängig vom Entwicklungsstand der Plattform Workadventure, die sich ebenfalls um eine plattformübergreifende, datensichere Umsetzung bemüht. Für alle anderen eingebundenen Tools wurde auf Open Source und sichere Verbindungen mit möglichst modularem Einsatz als Standard gesetzt. So wurde z. B. für die Verlinkung Cryptpad verwandt, das nicht nur eine sichere Verbindung herstellt, sondern deren Inhalt austauschbar ist und somit zur eigenen Anpassung einlädt.

Für die Aufgabenstellungen wurden einerseits Rätsel genutzt, die auch in anderen Escape Games zum Einsatz kommen könnten, aber auch Diskussionsaufgaben, in denen die Gruppen diskutieren und selbst entscheiden können. Die Lösungen gelten für das Spiel dann immer als korrekt und die Gruppen erhalten einen Code, um den Raum zu verlassen. Das Diskutierte kann jedoch dokumentiert und zu einem späteren Zeitpunkt reflektiert werden.

Der Wunsch war, dass das Escape Game mit Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung max. 3 Stunden umfassen soll und sich daher für verschiedene Bildungsveranstaltungen einsetzen lässt.

Anwendungsmöglichkeiten

Archiospace lässt sich jederzeit über den Link www.archiospace.de aufrufen und direkt spielen, allerdings kann es wie bei anderen Escape Games dazu kommen, dass eine einzelne Person nicht auf die Lösung kommt. Die Stärke der Gruppe mit vielen unterschiedlichen Lösungsansätzen ist also hier ebenfalls hilfreich.

Das Escape Game ist als spielerischer Einstieg für Bildungsveranstaltungen gedacht, um sich mit verschiedenen Themen der Digitalisierung auseinanderzusetzen.

Das Escape Game ist als spielerischer Einstieg für Bildungsveranstaltungen gedacht, um sich mit verschiedenen Themen der Digitalisierung auseinanderzusetzen.

Zum aktuellen Zeitpunkt besteht das Spiel aus sechs einzelnen Escape Rooms, in denen es um folgende Themenbereiche aus dem Feld der Digitalisierung geht: Algorithmen und Entscheidungen zum Thema Impfen, erste Schritte der Programmierung, Datenschutz und Nutzungsbedingungen, Virtual Reality, Künstliche Intelligenz und Überwachung. Pro Spiel können die Räume je nach Anforderungen durch Zielgruppe und Zeitbudget ausgewählt werden, sodass die Themen der Räume sich in der folgenden Zeit der Veranstaltung vertiefen lassen.

Foto: Grafik von Pauline Recke; Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“

Ausblick

Bis zum Ende des Jahres 2021 wurden bei weiteren Veranstaltungen Feedback zur Methode gesammelt, wurde die Übertragung in den analogen Raum ausgetestet und eine mögliche Weiterarbeit konzipiert, da sich das Projekt als umfangreicher herausstellte als ursprünglich geplant. Hierbei stehen eine weitere Überarbeitung sowie die Dokumentation des Projekts im Mittelpunkt, um die Erkenntnisse an andere Bildner*innen weiterzugeben und die Erfahrungen anderen Multiplikator*innen zur Verfügung zu stellen.

In der Dokumentation wird das gesammelte Wissen zur Erstellung von Escape Games im Bildungskontext gesammelt werden und auch, wie es möglich ist, das digitale Spiel in eine analoge Form umzuwandeln sowie sich selbst in die Spielleitungsfunktion einzuarbeiten und Gruppen zu begleiten.

Die Fachgruppe freut sich, wenn sich Interessierte entweder am Projekt beteiligen wollen oder lernen möchten, wie sie selbst Escape Games im Bildungsbereich online und offline entwickeln können. Hierfür werden weitere Fortbildungen in 2022 angeboten.

Zum Autor

Marc Rüdiger ist Bildungsreferent in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein und seit 2020 Teil der Fachgruppe „Digitale Medien und Demokratie” im Programm „Politische Jugendbildung im Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten“.
m.ruediger@kurt-loewenstein.de