Außerschulische Bildung 1/2020

Zerrissene Gesellschaft, gefährdeter Zusammenhalt?

Solidarität in der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise

Ausgehend von der These, dass unsere Gesellschaft eine historisch neuartige ökonomisch-ökologische Zangenkrise durchläuft, bei der die Erzeugung von Wirtschaftswachstum zwangsläufig zum Anwachsen globaler ökologischer Großgefahren führt, wird die Frage gestellt, ob es solidarische Auswege aus dieser Krise geben kann. Notwendig ist eine Nachhaltigkeitsrevolution, bei der strikt zwischen einer eher bewahrenden und einer explizit transformierenden Solidarität zu unterscheiden ist. von Klaus Dörre

Vordergründig betrachtet scheint die Welt in Ordnung – zumindest in der reichen Bundesrepublik. Die Zeiten ständig steigender Massenarbeitslosigkeit liegen vorerst hinter uns. Trotz konjunktureller Eintrübung verharrt die Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordniveau. Selbst im Osten Deutschlands hat sich der Arbeitsmarkt in wichtigen Branchen und Regionen von einem Käufer- in einen Anbietermarkt verwandelt. Die Konkurrenz um Fach- und Arbeitskräfte trägt dazu bei, dass die Reallöhne seit 2013 wieder langsam steigen. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn hat die schlimmsten Auswüchse der Agenda-Politik korrigiert. Besonders in jüngeren Altersgruppen werden qualitative Ansprüche an Arbeit und Beruf wieder deutlicher artikuliert. Und dennoch oder gerade deshalb – die Mehrzahl der Deutschen ist unzufrieden. Das jedenfalls legen demoskopische Daten nahe, wie sie in regelmäßigem Turnus anlässlich des Weltwirtschaftsforums von Davos veröffentlich werden. 55 % der Befragten meinen, der Kapitalismus in seiner jetzigen Gestalt schade mehr als dass er helfe. Nur noch 12 % glauben, dass ihnen das Wirtschaftssystem nütze und sie vom Wirtschaftswachstum ausreichend profitierten. Die ökonomischen Zukunftsaussichten beurteilen nur noch 23 % positiv (vgl. Agentur Edelman 2019).

In der Zangenkrise

Solche Daten sprechen keineswegs für eine besondere „German Angst“, für einen Hang zu Pessimismus oder gar zu apokalyptischen Szenarien. Sie sind Ausdruck einer realistischen, wenngleich häufig rational noch kaum durchdrungenen und deshalb teilweise verdrängten Transformationsproblematik. Gesellschaften wie die Bundesrepublik durchlaufen, so meine These, eine historisch neuartige ökonomisch-ökologische Zangenkrise. Damit ist gemeint, dass das wichtigste Mittel zur Überwindung von ökonomischer Stagnation und zur Pazifizierung von Verteilungskonflikten in kapitalistischen Marktwirtschaften – die Erzeugung von Wirtschaftswachstum – unter den Bedingungen hohen Ressourcenverbrauchs und steigender klimaschädlicher CO2-Emissionen zwangsläufig zum Anwachsen globaler ökologischer Großgefahren führt. Diese Zangenkrise lässt sich im Grunde nur im Zuge einer Nachhaltigkeitsrevolution überwinden. Dabei ist offen, welcher Gesellschaftstypus diese Revolution am besten voranzubringen vermag.